BGH verschärft Transparenzanforderungen für Nachrangklauseln
Sechs mal neun lautet die Rechnung, wenn man sich Nachrangklauseln mit qualifiziertem Rangrücktritt des Gläubigers in Standardverträgen rechnerisch nähern will.
Denn der VI. Senat des BGH hat mit Urteil vom 1.10.2019 (VI ZR 156/18, WM 2019, 2304) die kurz zuvor vom IX. Senat in einer Grundsatzentscheidung formulierten Leitlinien (siehe BGH IX ZR 143/17, WM 2019, 592; zuletzt BGH IX ZR 77/19, WM 2020, 311; dazu auch unser Blog und Brocker/Göllner in BB 2019, 1230) aufgegriffen und hinsichtlich der Transparenzanforderungen an standardisierte Nachrangklauseln konkretisiert.
In dem vom VI. Senat entschiedenen Fall enthielten jeweils mit Verbrauchern geschlossene „Vermögenanlageverträge“ die folgende Nachrangklausel:
„Zur Vermeidung einer etwaigen Überschuldung der Gesellschaft tritt der Kunde mit seinen Forderungen aus diesem Vermögensanlagevertrag (der “Vertrag”) hinter alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen anderer Gläubiger der Gesellschaft, die nicht ebenfalls im Rang zurückgetreten sind, zurück. Zahlungen auf Forderungen des Kunden aus diesem Vertrag sind lediglich aus einem künftigen Jahres- oder Liquidationsüberschuss oder aus einem die sonstigen Verbindlichkeiten übersteigenden Vermögen der Gesellschaft zu leisten. Die Ansprüche des Kunden aus diesem Vertrag sind mit den Ansprüchen anderer Gläubiger der Gesellschaft, die ebenfalls im Rang zurückgetreten sind, gleichrangig. Dies gilt auch für den Fall der Insolvenz der Gesellschaft.“
Über eine Erlaubnis nach § 32 Abs. 1 KWG verfügte der Verwender der Klausel, eine Aktiengesellschaft, nicht. Die BaFin ordnete die Rückabwicklung des Geschäfts mit der Begründung an, der Verwender betreibe mit dem Anlagemodell erlaubnispflichtiges Einlagengeschäft (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG) ohne entsprechende Erlaubnis.
Der BGH hielt die Nachrangklausel für unwirksam, da sie unter Verstoß gegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB intransparent, d.h. nicht klar und verständlich formuliert sei. Dem maßgeblichen Durchschnittskunden des Verwenders sei nicht klar, dass er ein das allgemeine Insolvenzrisiko seines Vertragspartners übersteigendes unternehmerisches Risiko übernehme, ohne in diesem Zusammenhang Informations- und Kontrollrechte gegenüber der AG eingeräumt zu bekommen. Zudem sei dem Durchschnittskunden unklar, dass die Nachrangklausel auch einen ggf. dauerhaften Zahlungsstopp zur Folge haben könne. Offen ließ der BGH, ob die Nachrangklausel auch als überraschend einzustufen war (§ 305c Abs. 1 BGB). In diesem Fall wäre sie schon nicht Vertragsbestandteil geworden. Ebenfalls blieb offen, ob auch die in der Klausel fehlenden Hinweise zur genauen Rangtiefe des Rücktritts und zur Erstreckung der vorinsolvenzlichen Durchsetzungssperre auf Zinsen zur Intransparenz der Klausel geführt hätten.
Der VI. Senat schließt sich hier weitgehend dem IX. Senats an, verschärft aber dessen Transparenzanforderungen. Der IX. Senat hatte zunächst der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle solcher Klauseln eine Absage erteilt und dies damit begründet, dass die Parteien der Nachrangabrede dem Vertrag typischerweise ein Gepräge als eigenständiger Risikofinanzierungstypus gäben, also das Äquivalenzverhältnis durch die Nachrangabrede entsprechend definierten. Eine Abweichung oder Ergänzung gesetzlicher Regelungen i.S.v. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB (als Voraussetzung der Inhaltskontrolle) sei daher nicht festzustellen. Ohne dies in seiner Entscheidung vom 1.10.2019 ausdrücklich zu betonen, dürfte der VI. Senat diese Linie teilen, da er die Grundsatzentscheidung des IX. Senats gleich mehrfach zitiert.
Zur Transparenz der Klausel forderte der IX. Senat, dass sich aus der Klausel die Rangtiefe, die vorinsolvenzliche Durchsetzungssperre, deren Dauer und die Erstreckung auf Zinsen klar und unmissverständlich ergeben müssen. Der VI. Senat schließt sich dem im Hinblick auf die für intransparent gehaltene Darstellung von Art und Dauer der vorinsolvenzlichen Durchsetzungssperre an. Und auch wenn keine Entscheidung zu den weiteren Anforderungen an die Darstellung der Rangtiefe des Rücktritts und zur Erstreckung der Durchsetzungssperre auf Zinsen erging: Im entschiedenen Fall entsprach die Nachrangklausel auch diesen Anforderungen nicht.
Verschärfend fügt der VI. Senat den Anforderungen des IX. Senats die Anforderung hinzu, dass dem Vertragspartner des Verwenders auch die rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der vorinsolvenzlichen Durchsetzungssperre zu erläutern seien. Insbesondere sei der Umstand des mit dem Nachrang verbundenen besonderen unternehmerischen Risikos bei zugleich fehlenden Mitwirkungs-, Kontroll- und Informationsrechten verständlich zu machen.
Für die Praxis im Retail-Geschäft mit Verbrauchern sind aktuell AGB-mäßig gestaltete Nachrangklauseln und die sie enthaltenden Verträge sowohl an den Transparenzanforderungen des IX. als auch des VI. Senats des BGH zu messen. Selbst wenn die Nachrangklauseln als solche die schärferen Transparenzanforderungen des VI. Senats nicht erfüllen sollten, können entsprechende Erläuterungen auch an anderen Stellen des Vertrages erfolgen, sofern die Verständlichkeit durch die Verortung nicht leidet. Zudem ist stets zu prüfen, ob die vom BGH verlangte Information über das Risikoprofil des Vertrages und fehlende Mitwirkungs-, Kontroll- und Informationsrechte hinreichend deutlich nicht bereits in anderen dem Kunden vor Abschluss des Vertrages zur Verfügung gestellten Dokumenten wie einem Verkaufsprospekt oder einem Vermögensanlageninformationsblatt nach dem Vermögensanlagengesetz enthalten sind. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH zur Klauselrichtlinie (Richtlinie 93/13/EWG) ist entscheidend, ob der Durchschnittskunde unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung gestellten Informationen (Vertragsunterlagen, Auskünfte, Werbung etc.) in der Lage ist, die wirtschaftliche Bedeutung der Klausel zu verstehen (siehe z.B. EuGH, 20.9.2017 – C-186/16, WM 2017, 1974 Rn. 45 f.).
Nach alledem bleibt es dabei: Nachrangklauseln mit vorinsolvenzlichen Durchsetzungssperren schaffen einen besonderen Vertragstypus für Risikokapital, dem andere Interessen der Parteien als bei klassischen „Senior-Darlehen“ zugrunde liegen. Verbrauchern müssen diese Zusammenhänge möglichst im Vertrag selbst (jedenfalls aber in vor Vertragsschluss übermittelten sonstigen Informationen) klar und deutlich erklärt werden. Art, Umfang und Dauer der vorinsolvenzlichen Durchsetzungssperre sind verständlich zu beschreiben. Insolvenzszenarien, die eine Zahlungssperre bewirken können, sind jedenfalls ohne alleinigen Verweis auf unbestimmte Sammelbegriffe wie „Krise“, „Insolvenznähe“ oder Sammelbezeichnungen wie „Insolvenzeröffnungsgründe“ zu beschreiben. Gestalterisch sollten die Klauseln drucktechnisch hervorgehoben werden und bereits in der Überschrift die Elemente des qualifizierten Nachrangs nennen. Außerhalb des Verbrauchergeschäfts gelten geringere Transparenzanforderungen.
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