PayPal-AGB - Länge von 83 Seiten zumutbar (OLG Köln, 6 U 184/19)

Können AGB unzumutbar und unwirksam sein, weil sie lang und allgemein unverständlich sind? Mit nun veröffentlichtem Urteil vom 19. Februar 2020 (Az. 6 U 184/19) hat das OLG Köln diese Frage in Bezug auf die AGB von PayPal verneint und eine Unterlassungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) zurückgewiesen. Mit dieser Klage wollte der VZBV erreichen, dass PayPal seine AGB in Deutschland nicht mehr verwenden darf, weil die AGB zu lang und unverständlich seien. Das OLG folgte der Argumentation des VZBV jedoch nicht.

Hintergrund

PayPal betreibt bekanntlich eine Online-Plattform, mittels derer Millionen privater und gewerblicher Nutzer Geld auf elektronischem Wege transferieren können. An einem Zahlungsvorgang sind mit dem Zahler, dem Zahlungsempfänger, jeweils deren Banken und PayPal teilweise bis zu fünf Personen beteiligt.

Der VZBV war der Ansicht, dass PayPal unlauter im Sinne des § 3a UWG handele, weil die Nutzungsbedingungen der Plattform nicht wirksam nach § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB in den Vertrag einbezogen würden. Gem. § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB werden AGB bekanntlich nur dann Bestandteil eines Vertrags, wenn der Verwender bei Vertragsschluss u.a. „der anderen Vertragspartei die Möglichkeit verschafft, in zumutbarer Weise, (…), von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen“. Der VZBV argumentierte, dass solch eine zumutbare Kenntnisnahme der Nutzungsbedingungen von PayPal aus folgenden zwei Gründen nicht möglich sei:

  • Länge der Nutzungsbedingungen: Die Nutzungsbedingungen seien zu lang. Die Nutzungsbedingungen umfassen in ausgedruckter Form insgesamt 83 DIN A4 Seiten. Um diese zu erfassen, benötige ein durchschnittlicher Leser mindestens 80 Minuten für die Lektüre und müsse auf einem mobilen Endgerät über 300mal scrollen. Zudem seien die Pflichtinformationen nach Art. 246b § 1 EGBGB Bestandteil der Nutzungsbedingungen, was zu einer Belastung des Verbrauchers bei der Lektüre der ohnehin zu langen AGB führe.

  • Eingeschränkte Verständlichkeit der Nutzungsbedingungen: Des Weiteren seien die Nutzungsbedingungen allgemein unverständlich. Der VZBV hatte die Nutzungsbedingungen einer Analyse mit einer Verständlichkeitssoftware unterzogen, welche formale Texteigenschaften wie Wort- sowie Satzlänge und Worthäufigkeit anhand verschiedener Lesbarkeitsformeln sowie weiterer Kennzahlen analysiert. Die Analyse habe nach dem so genannten „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“ einen Wert von lediglich 3 auf einer Skala von 0-20 ergeben, wobei der Wert 0 für die geringste Verständlichkeit stehe. Der auf wissenschaftlichen Studien basierende Index empfehle für Fachtexte hingegen ein Zielwert von 12, der bei den Nutzungsbedingungen erheblich unterschritten sei. Zudem beanstandete der VZBV, dass mehr als ein Drittel der Sätze in den Nutzungsbedingungen mehr als 20 Wörter enthalte. Der längste Satz enthalte sogar 111 Wörter.

Der VZBV machte vor diesem Hintergrund gegenüber PayPal einen Unterlassungsanspruch nach § 8 UWG wegen eines Verstoßes gegen § 305 Abs. 2 BGB geltend. Diese Norm sei eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG. PayPal sollte dazu verpflichtet werden, die streitgegenständlichen Nutzungsbedingungen nicht mehr gegenüber Verbrauchern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu verwenden.

Dem erteilte das OLG Köln jedoch eine Absage.

Gründe des Urteils

Das Landgericht Köln hatte die Klage des VZBV bereits in erster Instanz als unbegründet abgewiesen. Das OLG Köln bestätigte diese Entscheidung und wies die Berufung des VBZV zurück, weil diesem kein Unterlassungsanspruch gegenüber PayPal zustehe.

Zweifelhaft sei schon, ob es sich bei § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB überhaupt um eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG handle, deren Verletzung einen Unterlassungsanspruch nach § 8 UWG begründe. Das OLG konnte diese Frage jedoch offenlassen, da die Richter keinen Verstoß gegen § 305 Abs. 2 BGB erkennen konnten:

  • Umfang der AGB kann nicht losgelöst bewertet werden: Zwar könne laut dem Senat eine nicht wirksame Einbeziehung von AGB anzunehmen sein, wenn diese im Verhältnis zur Bedeutung des Geschäfts einen vertretbaren Umfang überschritten. Dabei sei aber auch zu berücksichtigen, dass Verbraucher an Vertragsabschlüsse im Internet gewöhnt seien. Da dort zudem kein Druck zum Vertragsabschluss herrsche, hätte ein Verbraucher im Internet die Gelegenheit, sich zuvor intensiv mit den AGB auseinander zu setzen. Vor diesem Hintergrund seien die AGB von PayPal nicht allein aufgrund ihres Umfangs von über 80 Seiten zu beanstanden. Denn die Nutzungsbedingungen müssten schließlich teilweise komplexe Zahlungsverhältnisse zwischen bis zu fünf beteiligten Parteien abbilden. Dabei könne der Verbraucher zudem verschiedene Rollen (die des Zahlers oder die des Zahlungsempfängers) übernehmen. Angesichts dieser Komplexität könne die Länge der AGB nicht per se beanstandet werden.

  • Zusatzbedingungen führen nicht in jedem Fall zur Unübersichtlichkeit: Auch dass die Nutzungsbedingungen von PayPal Zusatzbedingungen beinhalten, führe nach Auffassung des OLG Köln nicht zu einer Unzumutbarkeit der Kenntnisnahme insgesamt. Insoweit dürfte die Begründung des Gerichts allerdings so zu verstehen sein, dass dies nur deshalb gelte, weil die Nutzungsbedingungen im hiesigen Fall übersichtlich gestaltet waren und der Verbraucher erkennen kann, dass Zusatzbedingungen ggf. für ihn nicht von Bedeutung sind.

  • Pauschaler Verständlichkeitsindex keine relevante Beurteilungsgrundlage: Überdies erteilte der Senat der Argumentation des VZBV eine Absage, dass die Nutzungsbedingungen deshalb unzumutbar seien, weil die Analyse einer Verständlichkeitssoftware den AGB ein schlechtes Ergebnis bescheinige. Ein solcher Index sei zu pauschal, um eine Aussage dazu treffen zu können, ob AGB in ihrer Gesamtheit zulässig seien. Beispielsweise würde ein solcher Verständlichkeitsindex nicht berücksichtigen, wenn ein Text zwar Fremdwörter enthalte, diese aber erläutert würden.

  • § 307 BGB kein Maßstab für die Gesamtheit Allgemeiner Geschäftsbedingungen: Das OLG Köln verneinte schließlich auch einen gleichfalls vom VZBV aufgeworfenen Verstoß gegen das Transparenzgebot nach § 307 BGB. Denn das Transparenzgebot nach § 307 BGB gelte nicht für die Gesamtheit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Vielmehr betreffe es allein einzelne Klauseln und ggf. deren Zusammenspiel mit anderen Klauseln etwa durch Verweise und die dadurch nicht mehr gewährleistete Übersichtlichkeit. Dies aber war nicht Gegenstand der Klage des VZBV.

Das OLG Köln hat die Revision gegen seine Entscheidung nicht zugelassen. Der VZBV hat daher nur die Möglichkeit, sich mit einer Nichtzulassungsbeschwerde an den BGH zu wenden. Ob der VZBV von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, ist nicht bekannt. Es ist jedoch möglich, dass der BGH in solch einem Fall ohnehin nicht in der Sache entscheiden wird.

Folgen für die Praxis

Das Urteil des OLG Köln schafft ein wenig mehr Rechtssicherheit bei der Erstellung von AGB. Verwendungsgegner können sich demnach im Streit um die wirksame Einbeziehung von AGB in ein Vertragsverhältnis regelmäßig nicht mit Erfolg darauf berufen, diese seien allgemein zu lang und nach abstrakten Bewertungskriterien unverständlich.

Allerdings sollten folgende Punkte trotzdem bei der Erstellung von AGB berücksichtigt werden:

  • Erheblichen Umfang kritisch prüfen: Das OLG Köln war zwar im konkreten Fall der Ansicht, dass dem Nutzer die Lektüre von 83 Seiten langen AGB zumutbar sei. Dabei hat das OLG Köln allerdings auch darauf abgestellt, dass hier eine besonders komplexe Personenkonstellation zu regeln war. Es ist daher nicht auszuschließen, dass ein in einem anderen Streitfall angerufenes Gericht einen zu großen Umfang von AGB als unzumutbar bemängelt und die wirksame Vereinbarung der AGB verneint. Es empfiehlt sich daher, bei der Gestaltung von AGB auch deren Gesamtlänge einer kritischen Prüfung zu unterziehen: Ist ein ggf. erheblicher Umfang tatsächlich geboten oder steht dieser außer Verhältnis zu dem zugrunde liegenden Geschäft?

  • Geltungsbereich von Zusatzbedingungen deutlich hervorheben: Werden Zusatzbedingungen für bestimmte Geschäfte aufgestellt, sollte deutlich hervorgehoben werden, wann und für welche Verbraucher diese gelten.

  • Klauseln verständlich und transparent formulieren: Das OLG Köln hält richtigerweise den Ansatz für verfehlt, dass AGB in ihrer Gesamtheit anhand der Auswertung durch eine Verständlichkeitssoftware bzw. eines pauschalen Indexes bewertet werden können. Allerdings gilt weiterhin für jede einzelne Klausel ein Verständlichkeitsgebot nach § 307 BGB. Dieses impliziert, dass insbesondere wirtschaftliche Nachteile und Belastungen, die aus der Bestimmung resultieren, für den Verwendungsgegner klar erkennbar sein müssen. Insoweit gibt es umfangreiche Judikatur und Literatur, die bei der Verwendung von Begrifflichkeiten in und der Formulierung von AGB berücksichtigt werden sollte. Insbesondere bei Widerrufsbelehrungen ist insoweit besondere Vorsicht geboten, wie eine kürzlich ergangene Entscheidung des EuGH bestätigt.

Im Übrigen bestätigt dieser Fall einmal mehr, dass Verbraucherschutzverbände insbesondere die im Internet leicht verfügbaren eCommerce-AGB hinterfragen und mit Abmahnungen nicht zögerlich sind. Nicht zuletzt dieser Umstand gebietet erhebliche Sorgfalt bei dem Entwurf von AGB.

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