Neue Anforderungen an die Wirksamkeit von Rechtswahlklauseln in Verbraucherverträgen

Mit einem Urteil vom 28.07.2016 (C-191/15) hat der EuGH neue Anforderungen an die Wirksamkeit von Rechtswahlklauseln in AGB in Verbraucherverträgen aufgestellt.

Nach dem EuGH-Urteil muss der Verbraucher in einer Rechtswahlklausel darüber unterrichtet werden, dass nach Art. 6 Abs. 2 der Rom-I-VO die Rechtswahl nicht dazu führt, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch zwingende Bestimmungen nach dem Recht an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort gewährt wird (sogenannter Günstigkeitsvergleich).

Der EuGH beruft sich für diese Wertung auf die sogenannte Klauselrichtlinie (Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen). Art. 3 Abs. 1 der Klauselrichtlinie sei dahin auszulegen, „dass eine in allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Gewerbetreibenden enthaltene Klausel, […] nach der auf einen auf elektronischem Weg mit einem Verbraucher geschlossenen Vertrag das Recht des Mitgliedstaates anzuwenden ist, in dem der Gewerbetreibende seinen Sitz hat, missbräuchlich ist, sofern sie den Verbraucher in die Irre führt, indem sie ihm den Eindruck vermittelt, auf den Vertrag sei nur das Recht dieses Mitgliedstaates anwendbar, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach Art. 6 Absatz II der Rom-I-VO auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des Rechts genießt, das ohne diese Klausel anzuwenden wäre.“

Ist die Rechtswahlklausel nicht entsprechend gestaltet, so ist sie für den Verbraucher gemäß den jeweils anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften unverbindlich (Ziffer 6 Abs. 1 der Klauselrichtlinie). Bei Anwendbarkeit des deutschen Rechts ist die Rechtswahlklausel insgesamt nichtig, so dass der Vertrag nicht im vom Günstigkeitsvergleich bestimmten Umfang, sondern insgesamt kraft Gesetzes dem Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verbrauchers unterliegt (§ 306 Abs. 1, 2 BGB i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Rom-I-VO).

Die vom EuGH statuierte Pflicht zur Unterrichtung über den Regelungsgehalt des Art. 6 Abs. 2 Rom-I-VO setzt voraus, dass sowohl die Klauselrichtlinie als auch der Günstigkeitsvergleich nach Art. 6 Abs. 2 Rom-I-VO überhaupt zugunsten des Verbrauchers zur Anwendung kommen. Demnach ist die neue EuGH-Rechtsprechung in folgenden Konstellationen und unter folgenden Voraussetzungen zu beachten:

  1. Der Unternehmer wählt eine andere Rechtsordnung als die Rechtsordnung am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verbrauchers.
  2. Der Unternehmer übt die berufliche oder gewerbliche Tätigkeit, in dessen Bereich der Verbrauchervertrag fällt, in dem Staat des gewöhnlichen Aufenthaltes des Verbrauchers aus (z.B. bei Vertragsschlüssen auf Märkten oder Messen) oder richtet eine solche Tätigkeit jedenfalls auch auf diesen Staat aus. Nur in diesem Fall liegt eine schutzwürdige Verbindung des Vertragsverhältnisses zum Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers vor, welche die Anwendung der Bestimmungen des Aufenthaltsortes des Verbrauchers neben dem gewählten Recht rechtfertigt. Dabei ist der Begriff des „Ausrichtens“ auf den Aufenthaltsstaat des Verbrauchers weit zu verstehen. Ausreichend sind etwa ein Angebot oder eine Werbung des Unternehmers im Aufenthaltsstaat des Verbrauchers, z.B. verbreitet über Rundfunk oder Fernsehen, sofern tatsächlich ein Verbrauchervertrag im Rahmen dieser Tätigkeiten zustande kommt.
  3. Für den Bereich des Internets ist über die Zugänglichkeit der Website des Unternehmers im Aufenthaltsstaat des Verbrauchers hinaus erforderlich, dass (1) über die Website ein Vertragsabschluss im Fernabsatz angeboten wird und (2) im Ergebnis tatsächlich ein Vertragsabschluss im Fernabsatz erfolgt (gleich auf welchem Durchführungsweg, Erwägungsgrund 24 Rom-I-VO) oder (3) jedenfalls außerhalb des Fernabsat_z_es ein ursächlich auf der betreffenden Werbung bzw. dem betreffenden Angebot des Unternehmers im Internet beruhender Vertragsschluss erfolgt (EuGH, Urteil vom 6.09.2012 − C-190/11, juris Rn. 35 ff.). Sofern die auf der Internetseite des Unternehmers verwendete Sprache bzw. Währung von Sprache bzw. Währung des Staates des gewöhnlichen Aufenthaltes des Verbrauchers abweicht oder ein Disclaimer auf der Internetseite enthalten ist, steht dies dem „Ausrichten“ auf den Aufenthaltsstaat des Verbrauchers bei Vorliegen der genannten Kriterien nicht entgegen (Erwägungsgrund 24 Rom-I-VO).
  4. Der Verbrauchervertrag muss zudem dem sachlichen Anwendungsbereich von Art. 6 Rom-I-VO unterliegen. Dieser ist u.a. nicht eröffnet für näher bestimmte (1) Versicherungsverträge (Art. 6 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 7 Rom-I-VO) sowie (2) Beförderungsverträge, (3) Verträge über dingliche Rechte bzw. Miete oder Pacht an bzw. von Immobilien, (4) Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit Finanzinstrumenten (z.B. Bedingungen für die Zeichnung von Aktien oder Schuldverschreibungen), wobei eine Rückausnahme für Finanzdienstleistungen wie etwa Anlageberatung bzw. -vermittlung gilt oder (5) Verträge über Finanzinstrumente innerhalb eines multilateralen Systems (z.B. Kauf bzw. Verkauf von Aktien an der Börse) (Art. 6 Abs. 4 Rom-I-VO). Weiter ausgenommen aus dem Anwendungsbereich von Art. 6 Rom-I-VO sind Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen, wenn die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen als dem Staat des gewöhnlichen Aufenthaltes des Verbrauchers erbracht werden müssen. Das kann z.B. örtliche Bank- und Brokerdienstleistungen betreffen (Bereitstellung von Darlehen durch ausländische Bank auf ausländischem Konto; Vermittlung von Finanzinstrumenten durch ausländischen Broker über ausländische Börse). Zudem sind u.a. bestimmte Verträge auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts vom Anwendungsbereich der Rom-I-VO ausgenommen (Art. 1 Abs. 2 Rom-I-VO).
  5. Die EuGH-Rechtsprechung ist unabhängig davon anwendbar, ob Unternehmer bzw. Verbraucher ihren Sitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt in einem EU- bzw. EWR-Mitgliedsstaat oder einem hiervon verschiedenen Drittstaat haben. Sie gilt jedenfalls immer dann, wenn die Parteien eine wirksame Rechtswahl zugunsten des Rechts eines EU- oder EWR-Mitgliedstaates getroffen haben (dann ist die Klauselrichtlinie anwendbar) und die jeweils international zuständigen Gerichte zur Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Rom-I-VO verpflichtet sind, d.h jedenfalls wenn die Gerichte eines EU-Mitgliedstaates international zur Entscheidung über den Umfang der Rechtswahl berufen sind (wobei in Dänemark und den EWR-Mitgliedstaaten, die nicht zur EU gehören, der fast inhaltsgleiche Art. 5 Abs. 2 EVÜ statt Art. 6 Abs. 2 Rom-I-VO gilt).
  6. Ist die neue EuGH-Rechtsprechung nach den genannten Kriterien zu beachten und müsste eine Rechtswahlklausel zugunsten des deutschen Rechts demnach durch einen Hinweis auf den Günstigkeitsvergleich ergänzt werden, ist zu beachten, dass dieser Hinweis nach der Rechtsprechung zum Transparenzgebot möglichst klar und durchschaubar formuliert sein muss (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB).
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