Einführung von Risk-Free-Rates ab dem 1. Januar 2022 – das Ende der Interbank Offered Rates

Seit mehreren Jahrzehnten werden sogenannte Interbank Offered Rates (IBORs) als grundlegende Referenzzinssätze in den globalen Finanzmärkten verwendet. IBORs geben an, zu welchem Zinssatz sich Banken mit erstklassiger Bonität unbesichert Kredite in den führenden Handelswährungen (USD, EUR, GBP, CHF und JPY) zu verschiedenen Laufzeiten bis zu einem Jahr gewähren. Die Konditionen einer Vielzahl von Krediten, Derivaten, Wertpapieren und Bankeinlagen mit einer Nominalhöhe von umgerechnet mehreren hundert Billionen USD beziehen sich auf diese IBORs.

Doch die Zeit der IBORs läuft aus. Die weltweit am häufigsten verwendeten IBORs werden zum Ende des Jahres 2021 auf risikofreie Zinssätze (sogenannte Risk-Free-Rates oder kurz RFRs) umgestellt. Für Finanzinstitute ist der Umsetzungsdruck hoch, da die Umstellung komplex ist und erheblichen Zeitaufwand erfordert.

Kritik an den IBORs

Bereits nach der Finanzkrise standen IBORs weitgehend in Kritik. Die IBORs werden über die Befragung von teilnehmenden Panelbanken ermittelt, die die Werte auf Grund einer Experteneinschätzung liefern. Sogenannte Benchmark-Administratoren ermitteln – unter Ausschluss der niedrigsten und höchsten Werte – Mittelwerte der mitgeteilten Schätzwerte und veröffentlichen diese.

Die IBORs werden also letztlich infolge von Schätzungen veröffentlicht, nicht auf der Basis tatsächlicher Transaktionsdaten. In der Vergangenheit ist versucht worden, diese Zinssätze durch falsche Quotierungen zu manipulieren. Zudem ist seit der Finanzkrise die Liquidität im unbesicherten Interbanken-Geldmarkt erheblich zurückgegangen, so dass die solide Unterlegung der Benchmarks mit Marktaktivität fraglich ist.

Ersatzreferenzzinssätze – Risk-Free-Rates

Die meisten IBORs werden zum Ende des Jahres 2021 auf risikofreie Zinssätze (Risk-Free-Rates) umgestellt. Diese Zinssätze sind „risikofrei“, weil sie keine laufzeitbedingten Risikoaufschläge enthalten, sondern auf tatsächlichen Overnight-Transaktionsdaten basieren. Die RFRs wurden von Arbeitsgruppen mit Marktteilnehmenden und Aufsichtsbehörden bzw. Zentralbanken ausgearbeitet und heißen je nach Währung unterschiedlich: etwa SARON für Schweizer Franken, SONIA für Britische Pfund, SOFR für US-Dollar und TONA für Japanische Yen. Die meisten IBOR-Referenzzinssätze werden nach dem 31. Dezember 2021 nicht mehr veröffentlicht. Einzige Ausnahme ist der USD-Libor, der für die wichtigsten Laufzeiten noch bis zum 30. Juni 2023 ermittelt und veröffentlicht wird.

Der EURIBOR kann hingegen weiterhin als Referenzzinssatz herangezogen werden. Nachdem das European Money Market Institute als Administrator des bisherigen EURIBOR die Ermittlungsmethode des EURIBOR überarbeitet hat, erteilte die Financial Services and Markets Authority im Juli 2019 die Autorisierung, sodass die Verwendung des EURIBOR auch nach 2021 sichergestellt ist.

Mechanismus der Risk-Free-Rates

Die Risk-Free-Rates basieren – wie bereits ausgeführt – auf täglich veröffentlichten Transaktionsdaten.

Anders als die IBORs beinhalten die RFRs keinen laufzeitbezogenen Risikoaufschlag. Um eine Äquivalenz von IBOR und RFR bei bestehenden Krediten, Derivaten und sonstigen Transaktionen herzustellen, wird deshalb ein der Laufzeit und der Währung entsprechender Risikoaufschlag hinzugerechnet bzw. vereinbart (sogenannte Aufzinsung oder Adjustment-Spread). Bei neu abgeschlossenen Transaktionen wird dieser von Beginn an in die Zinsmarge einkalkuliert. Die Adjustment-Spreads für die jeweiligen IBOR-Laufzeiten wurden auf Basis der historischen Median-Abweichung über einen 5-Jahres-Zeitraum ermittelt und von Bloomberg am 05. März 2021 veröffentlicht.

Ein weiterer Unterschied zu den bisher gebräuchlichen IBORs besteht darin, dass die RFRs nicht im Vorhinein für die jeweiligen Zinsperioden feststehen. Der auf Basis einer RFR ermittelte Zins ist erst am Ende der Berechnungsperiode bekannt. Die Zinszahlungspflicht eines Kreditnehmers kann nur am Ende der jeweiligen Zinsperiode errechnet werden. Es gilt ein rückblickender Mechanismus (lookback). Um zudem die Zinszahlungspflicht bereits vor Ende der Zinsperiode zu ermitteln, findet ein Beobachtungszeitraum Anwendung; empfohlen wird ein laufzeitkongruenter Beobachtungszeitraum, der 5 Geschäftstage zuvor beginnt. Für jeden Tag der jeweiligen Zinsperiode wird daher der Wert des Zinssatzes der vorangehenden Tage des Beobachtungszeitraums verwendet.

Im Rahmen der Gewichtung der Zinssätze wird zudem zwischen der sog. Shift-Methode (lookback with observation shift) und der sog. Lag-Methode (lookback without observation shift) unterschieden. Die Shift-Methode gewichtet den Zinssatz nach der Anzahl der Tage, die im Beobachtungszeitraum gelten. Maßgeblich ist, ob ein Tag in der Beobachtungsperiode ein Geschäftstag oder Feiertag ist. Dagegen wird bei der Lag-Methode zwar der anwendbare Zinssatz in der Beobachtungsperiode bestimmt – für die Frage, ob ein Geschäftstag oder ein Feiertag ansteht und der ermittelte Tageszinssatz ggfs. mehrfach gilt, ist allerdings die tatsächliche Zinsperiode relevant. Die Gewichtung der Zinssätze wird bei der Lag-Methode anhand der Geschäfts- bzw. Feiertage in der tatsächlichen Zinsperiode vorgenommen.

Auswirkungen der Umstellung auf Ersatzreferenzzinssätze

Der Übergang von den IBORs auf RFRs wirkt sich auf laufende und künftige Transaktionen in den relevanten Währungen aus und betrifft neben Krediten und Anleihen auch alle weiteren zinsrelevanten Finanzprodukte.

Zahlreiche Kreditverträge sind von der Umstellung der Referenzzinssätze betroffen. Sämtliche Prozesse, Systeme, Modelle und die Kreditverträge selbst – bestehende wie neue – müssen angepasst werden. Die Loan Market Association hat zur Unterstützung bei der Umstellung auf RFR Musterentwürfe zur Verfügung gestellt, die allerdings der individuellen Anpassung und Verhandlung bedürfen.

Auch Anbieter von Finanzprodukten (etwa Derivate, Wertpapiere und Bankeinlagen), die über 2021 hinaus laufen und die entfallenden IBOR-Referenzzinssätze nutzen, müssen die Vertragskonditionen ändern. Nahezu alle variabel verzinsten Währungsprodukte müssen neu berechnet werden. Die ISDA unterstützt im Bereich der Derivate mit entsprechenden Protokollen. Teilweise beziehen sich auch festverzinsliche Produkte auf die IBOR-Referenzzinsätze, sodass auch diese Konditionen zu überarbeiten sind. Anpassungen sind nicht zuletzt entlang der Wertschöpfungskette erforderlich, etwa bei der Finanzabwicklung, beim Risikocontrolling und beim Rechnungswesen.

Die neue Rechnungsmethode stellt auch eine Herausforderung für die internen Systeme der Banken dar. Nicht alle Banken sind rechtzeitig auf die Umstellung der Referenzzinssätze vorbereitet.

Weitere Artikel