Der finale Entwurf einer Verordnung über Europäische Schwarmfinanzierungsdienstleister (ECSP-VO) – Anwendungsbereich und Regelungsüberblick
Zweieinhalb Jahre dauerte das Gesetzgebungsverfahren für die Verordnung über Europäische Schwarmfinanzierungsdienstleister für Unternehmen (Regulation on European Crowdfunding Service Providers, ESCP-VO), doch nun liegt der finale, zwischen den Institutionen abgestimmte und amtlich übersetzte Entwurf vor (abrufbar hier) und die Verabschiedung durch das Europäische Parlament wird in Kürze erwartet. Dies ist ein recht langer Prozess für dieses inhaltlich klar umgrenzte Gesetzgebungsprojekt ohne politisch sonderlich kontroverse Aspekte. Grund für die Verzögerungen war wohl zunächst, dass das Europäische Parlament in anfänglichen Entwürfen auch Schwarmfinanzierungsmodelle basierend auf Emissionen von Kryptowährungen (sog. Initial Coin Offerings, ICOs) in das Gesetzesvorhaben integrieren wollte, wovon es jedoch dann wieder Abstand nahm. Weitere Verzögerungen brachte die Europawahl im Mai 2019 und die damit verbundene Neubildung der Europäischen Kommission. Im Juli 2020 wurde schließlich die finale Fassung der ECSP-VO in allen Amtssprachen veröffentlicht. Hier ein Überblick über den Anwendungsbereich und die wesentlichen Eckpunkte der Verordnung (eine ausführliche Version dieses Beitrags ist in der Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft veröffentlicht: ZBB 2020, 217):
Hintergrund und Konzept der Verordnung
Momentan gleicht die aufsichtsrechtliche Regulierung von Schwarmfinanzierungplattformen (Crowdinvesting) in der EU dem sprichwörtlichen Flickenteppich. In einigen Staaten, insbesondere in einigen östlichen Mitgliedstaaten, ist keine Lizenz zum Betreiben einer Schwarmfinanzierungsplattform erforderlich. Dagegen wird in Deutschland eine Erlaubnis zur Finanzanlagevermittlung nach § 34f GewO benötigt. Neben diesen unterschiedlichen Marktzugangserfordernissen bestehen darüber hinaus auch vielzählige, nationale Unterschiede auf Ebene der Produktregulierung, wie z.B. unterschiedliche Anforderungen an die bereitzustellenden Anlegerinformationen einschließlich unterschiedlicher Antworten auf die Frage, ob und in welchem Umfang die zuständigen Aufsichtsbehörden die Produkte und entsprechenden Anlegerinformationen vorab prüfen und genehmigen müssen. Diese erhebliche Fragmentierung des Rechtsrahmens wurde – zu Recht – von der Europäischen Kommission als größtes Hemmnis für die Verwirklichung eines europaweit einheitlichen Kapitalmarktes betreffend Schwarmfinanzierungen im Internet identifiziert. Nur wenige Plattformen haben trotz des regulatorischen Flickenteppichs ihr Geschäft grenzüberschreitend in Europa ausgebaut, viele hingegen haben den zeit- und kostenintensiven Weg zum Marktauftritt in anderen Mitgliedstaaten angesichts der unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen gescheut. Als Konsequenz existiert bis heute keine Plattform, welche in der gesamten EU agiert. Die Antwort der EU auf dieses Problem ist es, eine neue und einheitlich anerkannte Lizenzkategorie für Schwarmfinanzierungsdienstleister zu etablieren, welche ein EU-weites Tätigwerden im Wege des sog. Passportings ermöglicht. Allerdings hat der europäische Gesetzgeber festgestellt, dass sich in den Mitgliedstaaten bisher sehr unterschiedliche Geschäftsmodelle, angepasst an die spezifischen gesetzlichen Vorgaben des jeweiligen Nationalstaates, entwickelt haben. Daher wird in Erwägungsgrund 76 der ECSP-VO explizit festgehalten, dass von der Verordnung nicht alle bestehenden Schwarmfinanzierungsmodelle erfasst werden sollen, einige Geschäftsmodelle also außerhalb des Anwendungsbereichs bleiben und weiterhin ausschließlich den bestehenden nationalstaatlichen Regeln unterliegen sollen. Allerdings: Soweit der Anwendungsbereich der ECSP-VO reicht, ist die ECSP-Regulierung exklusiv und verdrängt das nationalstaatliche Recht. Es handelt sich also keineswegs um einen reinen Papiertiger.
Anwendungsbereich der ECSP-VO
Wichtig ist daher die Abgrenzung, welche Schwarmfinanzierungsmodelle in den Anwendungsbereich der ECSP-VO fallen und welche weiterhin ausschließlich nationalstaatlichen Regelungen unterworfen sind. Hierbei ist eine konkrete Einzelfallbetrachtung des jeweiligen Geschäftsmodells erforderlich. Blickt man auf den deutschen Markt, so haben sich im Bereich des Crowdlendings (d.h. bei den als Fremdkapitalemissionen ausgestalteten Anlageprodukten) im Wesentlichen zwei Modelle etabliert: zum einen die Vermittlung von qualifiziert nachrangigen Darlehen, zum anderen sogenannte Fronting-Bank-Modelle, wobei eine zwischengeschaltete Bank den Kredit vergibt, diesen aber im Moment der Kreditvergabe über eine mit dem Schwarmdienstleister verbundene Zweckgesellschaft an die Crowd abtritt. Während das erste Modell, welches auf der Vermittlung qualifiziert nachrangiger Darlehen basiert (d.h. Darlehen mit insolvenzverhindernder, vorinsolvenzlicher Rückzahlunsgsperre), nicht vom Anwendungsbereich der ECSP-VO erfasst ist, fällt das zweite Modell, welches auf Fronting-Banken setzt, in den Anwendungsbereich der ECSP-VO. Zugleich – und hierin liegt ein wesentliches Novum der Verordnung – untersagt die ECSP-VO den Mitgliedstaaten, im Zusammenhang mit Schwarmfinanzierungen Erlaubnispflichten für Schwarminvestoren oder für Emittenten unter dem Gesichtspunkt des Kredit- oder Einlagengeschäfts aufrecht zu erhalten. Der Ausschluss der Nachrangdarlehen aus dem Anwendungsbereich der ECSP-VO ist an etwas versteckter Stelle geregelt, aber dadurch nicht minder deutlich: aus der Legaldefinition von „Kredit“ ergibt sich, dass nur solche Finanzierungen in den Anwendungsbereich fallen, die eine unbedingte Rückzahlbarkeit vorsehen. Qualifiziert nachrangige Darlehen sind eben nicht unbedingt rückzahlbar und scheiden damit aus dem Anwendungsbereich der ECSP-VO aus, im Rahmen des Fronting-Bank-Modells emittierte Darlehen sind jedoch unbedingt rückzahlbar und fallen daher unter die ECSP-VO. Es ist daher zu erwarten, dass die Fronting-Bank-Modelle nach Ablauf der Übergangszeit für das Inkrafttreten der ECSP-VO im Bereich der Schwarmfinanzierung keine Rolle mehr spielen werden und Banken bzw. Zahlungsdienstleister demnach in diesem Bereich nur noch für die Zahlungsabwicklung benötigt werden. Zudem – und dies könnte dem Schwarmfinanzierungsmarkt einen erheblichen Schub verleihen – besteht zukünftig kein Grund mehr, den qualifizierten Nachrang zu vereinbaren, denn bisher bestand der Grund dafür in den meisten Fällen darin, eine behördliche Erlaubnispflicht auf Darlehensnehmer- und Darlehensgeberseite zu vermeiden (in Deutschland sind qualifiziert nachrangige Darlehen von der Erlaubnispflicht für das Einlagen- und Kreditgeschäft freigestellt). Unter Geltung der ECSP-VO erfordern gewöhnliche, nicht nachrangige Darlehen, die über einen Schwarmfinanzierungsdienstleister vermittelt werden, keine Banklizenz mehr. Warum also sollten Crowd-Investoren künftig weiterhin das mit nachrangigen Darlehen verbundene erhöhte Ausfallrisiko eingehen? Auch mit Blick auf die Prospektpflichten wird durch die ECSP-VO ein einheitlicher Regelungsrahmen in der EU geschaffen. Die Verordnung ist nur auf Schwarmfinanzierungen mit einem Volumen von bis zu 5 Mio. Euro anzuwenden. Bis zu diesem Schwellenwert besteht keine Prospektpflicht. Allerdings ist ein standardisiertes Anlegerbasisinformationsblatt zu veröffentlichen. Die konkreten Anforderungen für dieses Anlegerinformationsblatt wird die Europäische Kommission noch mittels technischer Regulierungsstandards und unter Berücksichtigung der Empfehlungen der Europäischen Bankenaufsicht (European Banking Authority, EBA) und der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority, ESMA) festlegen. Auch verbriefte Emissionen, d.h. Schwarmfinanzierungen, die auf MiFID-II-Finanzinstrumente zurückgreifen, fallen in den ausschließlichen Anwendungsbereich der ECSP-VO, soweit der Schwellenwert von 5 Mio. Euro nicht überschritten wird und soweit diese über eine Internet-Plattform vermittelt werden.
Wesentliche Eckpunkte der ECSP-VO
ECSP-Lizenzen werden durch die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde der Mitgliedstaaten (in Deutschland also durch die BaFin) erteilt. Die Voraussetzungen entsprechen im Wesentlichen den Anforderungen an die Erlaubniserteilung im Rahmen von MiFID II. Die ECSP-VO stellt den Anlegerschutz in den Vordergrund, wie sich in einem eigenen und umfassenden Abschnitt zu diesem Thema manifestiert (Art. 19 ff.). Die Europäische Kommission wird zu diesem Bereich noch verschiedene technische Regulierungsstandards erlassen, beispielsweise zur Bewertung der Kreditwürdigkeit durch die Plattformen, zur Offenlegung der Anzahl und des Umfangs von Zahlungsausfällen bei Finanzierungen der betreffenden Plattform, zum Kenntnis- bzw. Eignungstest, den potentielle Anleger durchlaufen müssen und zu den Details des standardisierten Anlegerbasisinformationsblatts. Eine weitere bedeutende Neuerung ist die ausdrückliche Erlaubnis von sogenannten Auto-Invest-Funktionen, bei denen der Anleger für seine Anlagen vorab bestimmte Kriterien (z.B. Zinssatz, Laufzeit, Scoring-Bandbreite, Rendite, Investitionsvolumen) auf der Plattform festlegen kann. Hierdurch wird die Plattform angewiesen, nach diesen Parametern Investitionsprojekte auszuwählen und in diese zu investieren. Diese Form der Finanzportfolioverwaltung ist von einer Erlaubnis nach Maßgabe der ECSP-VO erfasst. Andere Bestandteile der Verordnung sind hingegen etwas unbedacht konzipiert worden. So gibt es bei ECSP-Investitionen ein eigenständiges Verbraucherwiderrufsrecht, welches mit einer ungewöhnlich kurz bemessenen Widerrufsfrist von vier Tagen versehen ist. Dabei hat der EU-Gesetzgeber offenbar nicht bedacht, dass nach der EU-Richtlinie zum Fernabsatz (die auf Schwarmfinanzierungsdienstleister aufgrund des Online-Vertriebs anwendbar ist) ein Widerrufsrecht von zwei Wochen gilt. Es bestehen also zwei verschiedene Widerrufsfristen parallel, was für Verbraucher und Plattformen gleichermaßen verwirrend sein wird.
Fazit
Wie bei jedem neuen Regelwerk stellen sich auch bei der ECSP-VO diverse Auslegungsfragen, für die sich aber praktische Lösungen finden werden. Es bestehen gute Chancen, dass die ECSP-VO dem Marktsegment der Schwarmfinanzierungen in der EU einen neuen Schub verleihen wird.
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