BGH erklärt EuGH-Rechtsprechung zur „Kaskadenverweisung“ für nicht anwendbar auf Immobilienkredite (XI ZR 581/18, XI ZR 299/19) und auf Verbraucherkredite mit Musterwiderrufsbelehrung (XI ZR 198/19)
Wie bereits berichtet, hat der EuGH mit Urteil vom 26. März 2020 (C – 66/19) entschieden, dass eine Widerrufsbelehrung in Verbraucherdarlehensverträgen ungenügend sei, wenn sie hinsichtlich der mitzuteilenden Pflichtangaben lediglich auf Rechtsvorschriften wie § 492 Abs. 2 BGB verweise. Solche so genannten „Kaskadenverweisungen“ verstießen gegen die in Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/48/EG („Verbraucherkreditrichtlinie“) enthaltenen Vorgaben. Danach sind die Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist in Darlehensverträgen in klarer, prägnanter Form anzugeben.
Dieses Urteil des EuGH steht in diametralem Gegensatz zu der bisherigen Rechtsprechung des BGH. Dieser erachtete es bislang nämlich als zulässig, in Widerrufsbelehrungen auf gesetzliche Vorgaben zu verweisen (Urteil vom 22.11.2016 – XI ZR 434/15). Nun reagierte der BGH innerhalb weniger Tage überraschend schnell auf das Urteil des EuGH und erklärte das neue EuGH-Urteil in den folgenden wesentlichen Fällen (wie bereits in unserem Blogbeitrag vermutet) für nicht einschlägig:
I) Keine Geltung für grundpfandrechtlich besicherte Immobiliendarlehensverträge
Mit Beschluss vom 31.03.2020 (XI ZR 581/18) und mit Beschluss vom 31.03.2020 (XI ZR 299/19) stellte der BGH klar, dass die EuGH – Entscheidung nicht auf grundpfandrechtlich besicherte Immobiliendarlehensverträge anwendbar ist. Denn auf diese finde die Verbraucherkreditrichtlinie nach ihrem Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und c keine Anwendung.
Der BGH griff in seinem Beschluss den Hinweis des EuGH auf, der selbst betonte, dass es in die ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte falle, wie nationale Vorschriften auszulegen sind, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen. Dies – so der BGH – gelte auch dann, wenn der deutsche Gesetzgeber Vorschriften für den Verbraucherkredit (basierend auf der Verbraucherkreditrichtlinie) auch für Immobiliarkredite für anwendbar erklärt. Die Auslegung nationaler Vorschriften verbleibe auch in einem solchen Fall bei den nationalen Gerichten.
Der BGH bestätigte mit dem Beschluss nochmals sein vor der EuGH-Entscheidung ergangenes Urteil vom 22.11.2016 – XI ZR 434/15, wonach der „Kaskadenverweis“ in der Widerrufsbelehrung bei grundpfandrechtlich gesicherten Immobiliarkrediten klar und verständlich ist.
II) Keine Relevanz bei Verwendung der Musterwiderrufsbelehrung aufgrund Gesetzlichkeitsfiktion
Mit weiterem Beschluss vom 31. März 2020 (XI ZR 198/19) stellte der BGH zudem klar, dass die EuGH-Entscheidung nicht auf Verbraucherkreditverträge übertragbar sei, in denen sich der Unternehmer der vom Gesetzgeber vorgegebenen Musterbelehrung in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB a.F. bediente.
Insoweit könne sich der Unternehmer auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB in der maßgeblichen (vom 13. Juni 2014 bis zum 20. März 2016 geltenden) Fassung berufen, weil die in dem Darlehensvertrag in hervorgehobener und deutlich gestalteter Form enthaltene Widerrufsinformation dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB a.F. entsprach.
Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 26. März 2020 – C-66/19 – ändere daran nichts. Denn die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung dürfe auch nach der Rechtsprechung des EuGH nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen. Eine richtlinienkonforme Auslegung der in Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB a.F. angeordneten Gesetzlichkeitsfiktion scheide aus, weil diese einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Norm einen entgegengesetzten Sinn geben würde.
Fazit:
Zwei Fragen hat der BGH geklärt:
-
Das EuGH-Urteil ist nicht auf grundpfandrechtlich besicherte Immobilienkredite anwendbar.
- Und wer als Unternehmer bei Verbraucherkrediten die Musterbelehrung verwendet hat, kann sich auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen.
Offen bleibt allerdings weiterhin, wie der BGH Widerrufsbelehrungen mit Kaskadenverweis bei sonstigen Verbraucherkrediten (nicht grundpfandrechtlich besicherte Immobiliendarlehensverträge) bewerten wird, bei denen sich der Unternehmer nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen kann, weil er von der Musterbelehrung abgewichen ist.
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