Effektiver Jahreszins von Online-Verbraucherkrediten muss Kosten für Bonitätszertifikat enthalten (Kammergericht, 5 U 128/18)
Das Kammergericht, Berlin, hat den Betreiber einer Internetplattform für die Vermittlung von Verbraucherkrediten zur Unterlassung falscher Angaben zum effektiven Jahreszins verurteilt. Denn diese verschwiegen unzulässiger Weise die Kosten eines von der Plattform vergebenen „Bonitätszertifikats“.
Zu dem Urteil des Kammergerichts
Die Beklagte betreibt im Internet eine Plattform für die Vermittlung kurzzeitiger Verbraucherkredite, welche eine Partnerbank den Kunden gewährt. Laut den Ausführungen in dem Urteil des Kammergerichts richtet sich das Angebot in erster Linie an Kunden mit schlechter Bonität.
Um ihre Chancen auf einen Kredit zu verbessern, können Kunden von dem Betreiber der Plattform ein „Bonitätszertifikat“ erwerben. Diesem werden andere Parameter als bei einer üblichen Schufa-Bewertung zugrunde gelegt, insbesondere werden die Kurzfristigkeit des Kredites und das daraus folgende geringere Rückzahlungsrisiko stärker gewichtet. Das „Bonitätszertifikat“ wird der Partnerbank als alternative Grundlage der Kreditbewilligung vorgelegt, wenn das Schufa-Scoring des betreffenden Kunden zu einer Kreditablehnung führen würde. Der Kunde muss die Kosten für die Erstellung des „Bonitätszertifikates“ nur tragen, wenn der Kreditantrag mit Hilfe des Zertifikates erfolgreich war.
Der Erwerb dieses Zertifikats ist somit ein optionaler Service und auch als solcher auf der Website gekennzeichnet. Das Kammergericht nahm jedoch an, dass der Erwerb für die Kunden faktisch obligatorisch sei, um tatsächlich den gewünschten Kredit zu erhalten. Die Beklagte gab auf ihrer Website zwar einen effektiven Jahreszins des Verbraucherkredits an. In diesen bezog sie jedoch nicht die Kosten des Bonitätszertifikats ein. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) erhob deshalb Klage auf Unterlassung künftiger Angaben des so unvollständig berechneten effektiven Jahreszinses. Dieser Klage gab das Kammergericht im Berufungsverfahren mit Urteil vom 27. September 2019 (Az.: 5 U 128/18) statt.
Das Kammergericht entschied, dass es sich bei den Kosten für das Bonitätszertifikat um sonstige Kosten handelt, die gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 der Preisangabenverordnung (PAngV) in die Berechnung des anzugebenden effektiven Jahreszinses einzubeziehen sind. Dasselbe gilt in der Folge auch die Werbung, welche gemäß § 6a Abs. 1 und 2 Nr. 4 PAngV den effektiven Jahreszins zutreffend wiedergeben muss.
Die beklagte Plattform berief sich hingegen auf die Vorschrift des § 6 Abs. 4 Nr. 2 PAngV, wonach Kosten für solche Zusatzleistungen nicht angegeben werden müssen, die keine Voraussetzung für die Verbraucherdarlehensvergabe sind. Ohne Erfolg: Für das Kammergericht ist es irrelevant, dass das Bonitätszertifikat und damit auch dessen Kosten auf den ersten Blick für die Kunden freiwillig sind. Vielmehr genüge es, dass sich die Plattform an Kunden schlechter Bonität richte und diese wohl ohne Bonitätszertifikat kaum eine Chance auf einen Kredit hätten. Es bestehe mithin ein faktischer Zwang zum Erwerb des Zertifikats. Daher sei es bei verbraucherschutzrechtlich gebotener typisierender Betrachtungsweise irrelevant, dass die beklagte Plattform in Ausnahmefällen einzelnen Kunden auch ohne Bonitätszertifikat Kredite vermittle.
Das Urteil des Kammergerichts ist laut Angaben des VZBV noch nicht rechtskräftig. Zwar ist im Urteil die Revision nicht zugelassen; die Beklagte kann jedoch Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof einlegen. Ob und ggf. wie der Bundesgerichtshof zu den aufgeworfenen Rechtsfragen eine Entscheidung treffen wird, ist nicht absehbar.
Folgen für die Praxis
Anbieter von Verbraucherkrediten haben unter anderem die strengen Anforderungen der §§ 6 f. PAngV zu berücksichtigen. Sie müssen danach die Gesamtkosten des Verbraucherdarlehens als jährlichen Prozentsatz des Nettodarlehensbetrags angeben und als effektiven Jahreszins bezeichnen.
In die Berechnung dieses effektiven Jahreszinses müssen gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 PAngV die vom Verbraucher zu entrichtenden Zinsen und alle sonstigen Kosten einschließlich etwaiger Vermittlungskosten einbezogen werden, die der Verbraucher im Zusammenhang mit dem Verbraucherdarlehensvertrag zu entrichten hat und die dem Darlehensgeber bekannt sind. Hiermit setzt die Preisangabenverordnung Art. 3 lit. g der EU-Verbraucherkreditrichtlinie (2008/48/EG) um.
In Ausnahme dazu listet § 6 Abs. 4 PAngV abschließend bestimmte Kostenpositionen auf, die nicht in die Gesamtberechnung des effektiven Jahreszinses einzubeziehen sind. Hierzu zählen gemäß Abs. 4 Nr. 2 auch Kosten für „Zusatzleistungen, die keine Voraussetzung für die Verbraucherdarlehensvergabe oder für die Verbraucherdarlehensvergabe zu den vorgesehenen Vertragsbedingungen sind“. Voraussetzung ist zwar, dass eine kausale Verbindung zwischen den Kosten und dem Kreditvertrag besteht. Allerdings müssen die Kosten nicht zwingend im Kreditvertrag selbst angelegt sein, sondern können auch zum Beispiel in einer zusätzlich abzuschließenden Versicherung wurzeln.
Ungeklärt war bislang, ob die Ausnahme nach § 6 Abs. 4 Nr. 2 PAngV auch für Kosten von Leistungen gilt, deren Inanspruchnahme der Darlehensgeber nicht als zwingende Voraussetzung eines Darlehens vorschreibt, die aber für einen überwiegenden Teil der Darlehensnehmer „faktisch zwingende Voraussetzung“ für das Darlehen sind. Das Kammergericht lehnt es nun unter Verbraucherschutzgesichtspunkten ab, solche Kosten aus der Berechnung des effektiven Jahreszinses auszunehmen. § 6 Abs. 4 Nr. 2 PAngV gelte insoweit nicht.
Ob die Argumentation des Kammergerichts auch vor dem Bundesgerichtshof standhalten wird (sofern dieser im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde überhaupt in der Sache entscheidet), ist offen. Es empfiehl sich jedoch bereits jetzt, als Anbieter von Verbraucherkrediten sorgfältig zu hinterfragen, ob die bisherigen Angaben zum effektiven Jahreszins alle sonstigen Kosten hinreichend berücksichtigen. Dabei sollten gleichfalls Kosten für Leistungen in Betracht gezogen werden, die dem Verbraucher nicht als zwingende Voraussetzung des Darlehens vorgegeben werden. Es genügt insoweit laut dem Kammergericht, dass die Leistung faktisch einem großen Teil der Darlehensnehmer den Zugang zum Darlehen ermöglicht und daher für diese Adressaten letztlich zwingend ist.
Die Entscheidung zeigt außerdem, wie die Verbraucherschutzverbände den Preisangabepflichten bei Verbraucherkrediten Zähne verleihen. Die Preisangaben sind transparent online einsehbar. So ist es für die Verbraucherschutzverbände ein Leichtes, den Markt zu durchforsten und echte oder vermeintliche Verletzungen der PAngV vor Gericht zu bringen. Fast eine Binsenweisheit: Es lohnt sich also eine gründliche Befassung mit den Verbraucherschutzvorgaben bei der Gestaltung des Online-Auftrittes von Verbraucherkrediten (nicht weniger bei anderen Verbraucher-Finanzdienstleistungen).
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