Das neue Wertpapierinstitutsgesetz (WpIG) tritt in Kraft

Am 26. Juni tritt das neue Gesetz zur Beaufsichtigung von Wertpapierinstituten (Wertpapierinstitutsgesetz – WpIG) in Kraft. Dies betrifft alle Finanzdienstleister, die ihren Sitz in Deutschland haben und von dem regulatorischen Regime der MiFID (Markets in Financial Instruments Directive = europäische Finanzmarktrichtlinie 2014/65/EU) erfasst sind. Das sind namentlich alle Anlagevermittler, Anlageberater, Abschlussvermittler und Portfolioverwalter, die mit MiFID-Finanzinstrumenten aller Art zu tun haben (gleich ob Aktien, Anleihen oder andere Kapitalmarktprodukte wie Derivate und Fondsbeteiligungen).

All diese Unternehmen sind „Wertpapierfirmen“ im Sinne von Art. 4 (1) Nr. 1 MiFID und damit vom Anwendungsbereich der MiFID-Regulierung erfasst. Die deutschen nationalen MiFID-Umsetzungsvorschriften finden sich bisher im Bereich der Produkt- und Verhaltensregulierung im Wertpapierhandelsgesetz (WpHG). Das bleibt auch so. Im Bereich der prudenziellen Finanzmarktaufsicht, also bei den Themen Erlaubniserteilung, Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen, laufende Beaufsichtigung und Meldewesen, werden die MiFID-Vorgaben bislang im Kreditwesengesetz (KWG) umgesetzt, wo wiederum umfangreich auf die CRR (Capital Requirements Regulation = Kapitaladäquanzverordnung (EU) 575/2013) verwiesen wird. Das ändert sich jetzt. Die Wertpapierfirmen verlassen ihre gewohnte KWG-Paragrafenlandschaft und werden als „Wertpapierinstitute“ dem neuen WpIG unterstellt.

Warum geschieht dies? Der Auslöser ist die zum 26. Juni fällige nationale Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/2034 über die Beaufsichtigung von Wertpapierfirmen (Investment Firm Directive – IFD), die von den in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbaren Regelungen der Verordnung (EU) 2019/2033 über die Aufsichtsanforderungen an Wertpapierfirmen (Investment Firm Regulation – IFR) flankiert wird. Es ist der ausdrückliche Wille des deutschen Gesetzgebers, die IFD durch das WpIG „eins zu eins“ umzusetzen. Der deutsche Gesetzgeber kam bei seinen Entwurfsarbeiten zu der – zutreffenden – Erkenntnis, dass die verschiedenen neuen Institutskategorien, die die IFD schafft, keinen Platz mehr in einem einheitlichen aufsichtsrechtlichen Gesetzgebungswerk wie dem KWG finden, wenn das KWG noch einigermaßen übersichtlich und praxistauglich bleiben soll. Also wurde das Thema der Beaufsichtigung der MiFID-regulierten Institute in ein neues, eigenständiges Gesetz, das WpIG, ausgelagert.

Hintergrund der IFD – der EBA-Bericht über das bisherige Aufsichtsregime

Die IFD verfolgt hierbei das Ziel, einen Aufsichtsrahmen für Wertpapierfirmen zu schaffen, der passgenauer auf das Geschäftsmodell und den Risikogehalt von Wertpapierfirmen zugeschnitten und auch einfacher zu handhaben ist. Bisher war der Aufsichtsrahmen für Wertpapierfirmen stark an den Vorschriften des Bankensektors, das heißt an der CRR orientiert. Dies fand eine kritische Würdigung in einem Report der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA). Die EBA kritisierte, dass diese Bankenregulierung für Wertpapierfirmen einerseits zu komplex sei, andererseits keine angemessene Differenzierung nach Art und Umfang der Tätigkeit der Wertpapierfirmen erlaube. Vor allem die Größe und systemische Relevanz sowie das Risikoprofil der den bisherigen Regelungen unterworfenen Wertpapierfirmen bliebe im bestehenden Regelungssystem unberücksichtigt (so auch Erwägungsgrund (4) der IFD).

In der Tat wurden Wertpapierfirmen und Kreditinstitute bereits seit der Kapitaladäquanzrichtlinie und der EU-Wertpapierdienstleistungsrichtlinie von 1993 wesentlich gleichen Maßstäben hinsichtlich der geltenden prudenziellen Regelungen zu Eigenkapital, Liquidität und Großkreditrisiken sowie hinsichtlich bestimmter Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungen unterworfen. Differenzierungen und Abstufungen wurden nach und nach mit den EU-Richtlinien zu den Kapitalanforderungen an Kreditinstitute (die sog. Capital Requirements Directives – CRD, zuletzt die Richtlinie 2013/36/EU vom 26. Juni 2013 – CRD IV) sowie der CRR eingeführt. Das WpIG führt diese Differenzierungen und Abstufungen in Umsetzung der IFD fort und teilt das bestehende System künftig in folgende neue Klassen von Instituten und entsprechende Regelungsbereiche auf (eine Darstellung mit größerer Detailtiefe – zugleich aber gut lesbar – findet sich im Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom März 2021):

Neue Klasseneinteilung von Kreditinstituten und Wertpapierinstituten

Durch § 2 Abs. 15 bis Abs. 18 WpIG werden Unternehmen, die Wertpapierdienstleistungen (und sog. Wertpapiernebendienstleistungen) erbringen, in vier Gruppen eingeteilt:

  • CRR-Kreditinstitute (§ 2 Abs. 15 WpIG) unterliegen nicht dem WpIG bzw. der IFR und IFD. Sie unterliegen unverändert den Zulassungs- und Aufsichtsvorgaben des KWG und der CRR; die Erlaubnispflicht richtet sich hier weiterhin nach § 32 KWG.
  • Große Wertpapierinstitute (§ 2 Abs. 18 WpIG i.V.m. Art. 1 (2) IFD) sind Wertpapierinstitute, die als Wertpapierdienstleistung den Eigenhandel oder das Emissionsgeschäft betreiben und eine Bilanzsumme von mindestens EUR 15 Mrd. aufweisen. Sie unterliegen gemäß § 4 WpIG nach wie vor weitgehend den Aufsichtsregeln des KWG und der CRR und nur eingeschränkt den Regelungen des WpIG; im Wesentlichen kommt es hier zu einer materiellen Gleichstellung mit CRR-Kreditinstituten.
  • Mittlere Wertpapierinstitute (§ 2 Abs. 17 KWG) sind Wertpapierinstitute, die weder ein CRR-Kreditinstitut noch ein Großes Wertpapierinstitut sind und auch nicht ein „kleines und nicht verflochtenes“ Wertpapierinstitut gemäß Art. 12 (1) IFR sind, d.h. eines oder mehrere der Größenkriterien gemäß Art. 12 (1) IFR überschreiten.
  • Kleine Wertpapierinstitute (§ 2 Abs. 16) sind Wertpapierinstitute, die keines der Größenkriterien gemäß Art. 12 (1) IFR überschreiten. Die Größenkriterien greifen verschiedene Parameter auf („Assets under Management“ müssen unter EUR 1,2 Mrd. liegen, „Client Orders Handled“ müssen bei Kassageschäften weniger als EUR 100 Mio. / Tag betragen, bei Derivaten weniger als EUR 1 Mrd. / Tag, usw.).

Für Mittlere und Kleine Wertpapierinstitute gelten nicht die Regeln des KWG, sondern ausschließlich die Regeln von WpIG und IFD.

Die Bundesregierung schätzt, dass es 720 Kleine und Mittlere Wertpapierinstitute in Deutschland gibt (kein einziges Großes Wertpapierinstitut).

Was ändert sich für Wertpapierfirmen?

Aus Juristenperspektive: zunächst einmal alles. Denn jede bisher im KWG vertraute Vorschrift muss zunächst einmal im neuen Regelwerk wiedergefunden und neu gelesen werden. Dies ist freilich bei jeder größeren Gesetzesreform der Fall und nach einiger Zeit der Gewöhnung überwunden. Die Regeln über den Europäischen Pass (bisher § 53b KWG) finden sich in §§ 73 f. WpIG wieder, das Anzeigewesen (bisher insbesondere § 24 KWG) nun in §§ 64 ff. WpIG und der vertraglich gebundene Vermittler (bisher § 2 Abs. 10 KWG) ist nun in § 3 Abs. 2 und darüber hinaus in § 28 WpIG geregelt.

Ein weiteres ist die Anpassung an die im Aufbau befindliche Verwaltungspraxis der BaFin zum WpIG. Es steht ein ganzer Schwung von Durchführungsverordnungen bevor, die bezogen auf das WpIG anzuwenden sein werden: die Wertpapierinstituts-Prüfungsberichtsverordnung (WpI-PrüfbV), die Wertpapierinstituts-Vergütungsverordnung (WpI-VergV), die Wertpapierinstituts-Inhaberkontrollverordnung (WpI-IKV) und die Wertpapierinstituts-Anzeigenverordnung (WpI-AnzV).

Von langfristiger Vorbereitungszeit kann hier nicht die Rede sein. Die BaFin hat die Entwürfe am 4. Mai veröffentlicht (zusammengefasst in einer Sammelverordnung), mit Gelegenheit zur Stellungnahme im Rahmen einer Konsultation bis zum 28. Mai. Ursprünglich war ein Inkrafttreten dieser Verordnungen am 26. Juni geplant, allerdings verschiebt sich dies offenbar, denn zum heutigen Stand sind diese Verordnungen weder im Bundesgesetzblatt noch im Bundesanzeiger veröffentlicht, auch findet sich auf der BaFin-Website zum heutigen Stand kein Hinweis auf das Inkrafttreten dieser Verordnungen.

Parallel zu der Sammelverordnung beantwortet die BaFin wichtige Fragen ihrer Verwaltungspraxis zum WpIG im Rahmen von „FAQ“ auf ihrer Webseite, darunter die Frage, ob die MaComp (Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und weitere Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten, Rundschreiben 05/2018 (WA)) anzuwenden sind (Antwort: ja) und ob die MaRisk (Mindestanforderungen an das Risikomanagement) anzuwenden sind (Antwort: ja, sinngemäß und unter Wahrung des Proportionalitätsgrundsatzes).

Ein Blick auf die Inhalte des neuen Aufsichtsrahmens zeigt, dass sich nur einige Regelungsbereiche in der Sache ändern, insbesondere der Bereich der Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen.

Eigenmittelanforderungen

Eine zentrale Messgröße für die Eigenmittelanforderungen ist erstens die Eigenmittel-Kosten-Relation des Institutes, das sog. „Fixed Overhead Requirement“ oder „FOR“. Die FOR-Anforderung besteht darin, jederzeit Eigenmittel in Höhe von mindestens 25% der fixen Aufwendungen vorzuhalten, die nach vorgegebenen Kriterien aus der Gewinn- und Verlustrechnung des Vorjahres abgeleitet werden (Art. 11, 13 IFR).

Die zweite Messgröße ist die sog. „Permanente Mindestkapitalanforderung“ gemäß Art. 14 IFR, in deutscher Gesetzesterminologie das „Anfangskapital“ genannt (bisher für Wertpapierfirmen in § 33 KWG geregelt, jetzt in § 17 WpIG). Hierbei ist es zu einer leichten Anhebung der Beträge gekommen (z.B. für die Gruppe der Anlagevermittler / Anlageberater / Abschlussvermittler / Finanzporfolioverwalter von EUR 50.000 auf EUR 75.000, für die Eigenhändler von EUR 730.000 auf EUR 750.000).

Kleine Wertpapierfirmen müssen die jeweils betragsmäßig höhere der beiden vorgenannten Anforderungen erfüllen.

Für Mittlere Wertpapierfirmen kommt eine dritte, neuartige Messgröße hinzu, nämlich die K-Faktor-Anforderung. Hierdurch werden spezifische Eigenmittelanforderungen je nach dem tatsächlichen Geschäftsmodell einer Wertpapierfirma definiert. Die Wertpapierfirma muss zunächst die für ihr Geschäftsmodell relevanten einzelnen Risikokategorien ermitteln:

  • Risiken für Kunden = „Risk to Client“, gemessen an den „Assets under Management“, den „Client Orders Handled“ usw., einschlägig z.B. bei der Wertpapierdienstleistung der Finanzportfolioverwaltung, der (fortdauernden) Anlageberatung, Anlagevermittlung und Abschlussvermittlung sowie bei dem Platzierungsgeschäft;
  • Risiken für den Markt = „Risk to Market“, gemessen an den Nettopostionsrisiken sowie an geleisteten Einschüssen für Clearing-Geschäfte, einschlägig z.B. bei der Wertpapierdienstleistung des Eigenhandels;
  • Risiken für die Firma = „Risk to Firm“, gemessen an dem täglichen Handelsstrom, dem Handelsgegenparteiausfallrisiko und dem Konzentrationsrisiko, potenziell bei allen o.g. Wertpapierdienstleistungen einschlägig.

Die Werte, die eine Wertpapierfirma für die jeweiligen relevanten Risikokategorien ermittelt hat, werden mit einem für jeden K-Faktor in der IFR aufgeführten Koeffizienten multipliziert. Die so gewichteten K-Faktoren werden zu einer Gesamtsumme addiert, dem Gesamtrisikobetrag.

Die für Mittlere Wertpapierfirmen maßgebliche Eigenkapitalanforderung ist der höchste Betrag aus den vorgenannten, insgesamt drei Messgrößen (FOR, Anfangskapital und K-Faktor-Gesamtrisikobetrag). Kleine Wertpapierfirmen können die K-Faktorbetrachtung außer Acht lassen. Hier ist der jeweils höchste Betrag aus FOR und Anfangskapital maßgeblich.

Liquiditätsanforderungen

In diesem Bereich führt das WpIG für eine Reihe von Instituten zu neuen Anforderungen. Dies betrifft Anlagevermittler und Abschlussvermittler, soweit diese nicht befugt sind, Kundengelder oder Kundenfinanzinstrumente in Besitz zu nehmen. Diese sind bislang gemäß § 11 KWG i.V.m. § 1 Abs. 2 der Liquiditätsverordnung (LiqV) von aufsichtlichen Liquiditätsanforderungen freigestellt.

Durch das WpIG werden einheitliche Liquiditätsanforderungen eingeführt, und zwar für sämtliche Kleine Wertpapierfirmen, auch dann, wenn sie keine Kundengelder bzw. keine Kundenfinanzinstrumente in Besitz nehmen.

Die IFR verfolgt hier einen sog. „Gone concern“-Ansatz im Gegensatz zu einem „Going concern“-Ansatz. Das regulatorische Ziel ist also nicht, dass das Institut stets genügend Liquidität für die Fortführung des Geschäftsbetriebes hat, sondern dass es noch ausreichende Mittel hat, um eine geordnete Abwicklung nach Geschäftseinstellung sicherzustellen. Die vorzuhaltende Liquidität beträgt ein Drittel der FOR-Eigenkapitalanforderung (siehe Art. 43 i.V.m. Art. 13 IFR). Da die FOR-Eigenkapitalanforderung darin besteht, ein Viertel der Fixkosten des Vorjahres bereitzuhalten, bezieht sich die Liquiditätsanforderung letztlich auf den Fixkostenbetrag eines Monats (ein Drittel von einem Viertel der jährlichen Fixkosten). Der IFR-Verordnungsgeber lässt also einen Liquiditätspuffer für einen Monat zur Geschäftsabwicklung ausreichen.

Fazit

Der Gesetzgeber äußerte sowohl auf europäischer wie auf nationaler Ebene (neben anderen Zielvorgaben) das Ziel einer größeren (auch Kosten-) Effizienz der Aufsicht sowie einer besseren Verständlichkeit. In Erwägungsgrund (3) der IFR heißt es, die Beaufsichtigung solle „… ferner … darauf abzielen, einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand für die Wertpapierfirmen zu vermeiden“. Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages schrieb in seinen Beschlussempfehlungen zum IFD-Umsetzungsgesetz, es solle eine „einfache, verständliche und übersichtliche Gesetzessystematik geschaffen werden“ (BT-Drucks. 19/28480, S. 2). In der derzeitigen heißen Phase der Gesetzeseinführung mit noch nicht verabschiedeten Durchführungsverordnungen kann von einer Vereinfachung allerdings (noch) nicht die Rede sein. Die Vorteile der neuen Regulierung, vor allem die Orientierung der regulatorischen Anforderungen an Geschäftsmodellrisiko, Größe und Komplexität werden sich möglicherweise noch herausstellen, wenn die Institute und die Aufsicht sich an die neuen Regeln gewöhnt haben. Möglicherweise bewahrheitet sich dann das Motto: „It’s going to get worse before it gets better.

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