Das COVID-19-Moratorium für Verbraucherdarlehen und die Folgen für Kreditinstitute – EBA erlässt Leitlinien zu den Auswirkungen für die Eigenmittelberechnung (EBA/GL/2020/02)
In der Finanzkrise ab 2007 griffen Probleme des Finanzsektors auf die Realwirtschaft über. Bei den wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie verhält es sich gerade umgekehrt. Mechanismen dieser Ausweitung lassen sich auch an den Moratorien ablesen, die nun zum Schutz bestimmter Schuldnergruppen in zahlreichen Mitgliedstaaten der EU mit verständlicher Eile erlassen worden sind. In ihrer Funktionsweise und in ihrem persönlichen Schutzbereich unterscheiden sich diese Moratorien mitunter deutlich voneinander.
In Deutschland hat man sich u.a. für weitreichende Stundungen der Tilgungs- und Zinsansprüche aus Verbraucherdarlehen entschieden. Gemein ist den verschiedenen Moratorien eine Rückwirkung auf Kreditinstitute, die jetzt vor drängenden Fragen stehen: Wie sind die Regelungen im Einzelnen zu verstehen? Sind die wirtschaftlichen Folgen des Moratoriums tragbar? Und welche aufsichtsrechtlichen Folgewirkungen ergeben sich daraus, insbesondere mit Blick auf die Eigenmittelanforderungen?
I. Gesetzliche Maßnahmen zur Abmilderung der COVID-19-Folgen
Das am 27. März verkündete „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz und Strafverfahrensrecht“ enthält ein ganzes Maßnahmenbündel zur Entlastung bestimmter Schuldner. Unter anderem wird
- die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags für COVID-19-bedingte Zahlungsunfähigkeiten unter gewissen Bedingungen ausgesetzt (§ 1 COVInsAG),
- die Möglichkeit von Gläubigerinsolvenzanträgen stark eingeschränkt (§ 3 COVInsAG),
- Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Europäischen Gesellschaften (SEs) und Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit die Durchführung virtueller Hauptversammlungen auch ohne entsprechende Satzungsbestimmung ermöglicht (§ 1 GesRuaCOVBekG) und
- die Kündigung von Mietverträgen über Grundstücke oder Räume aufgrund pandemiebedingter Zahlungsrückstände des Mieters zeitweise ausgeschlossen (Art. 240 § 2 Abs. 1 EGBGB).
Daneben sind auch Zahlungspflichten einiger Schuldnergruppen betroffen. Diese zentralen Regelungen wurden in Art. 240 §§ 1 und 3 EGBGB eingefügt.
Allgemeines Moratorium gemäß Art. 240 § 1 EGBGB
Art. 240 § 1 Abs. 1 S. 1 EGBGB enthält nach seinem Wortlaut ein allgemeines Moratorium für Dauerschuldverhältnisse zu Verbrauchern. Verbraucher haben danach
„das Recht, Leistungen zur Erfüllung eines Anspruchs, der im Zusammenhang mit einem Verbrauchervertrag steht, der ein Dauerschuldverhältnis ist und vor dem 8. März 2020 geschlossen wurde, bis zum 30. Juni 2020 zu verweigern, wenn dem Verbraucher infolge von Umständen, die auf die Ausbreitung der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) zurückzuführen sind, die Erbringung der Leistung ohne Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhalts oder des angemessenen Lebensunterhalts seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht möglich wäre.“
Nach Abs. 1 S. 2 und 3 sind allerdings nur solche Dauerschuldverhältnisse erfasst,
„die zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich sind“.
Gemeint sind insbesondere Telekommunikations- und Energielieferverträge (Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 19/18110, S. 4). Ausgeschlossen ist das Leistungsverweigerungsrecht nach Abs. 4 Nr. 1 „im Zusammenhang mit (…) Darlehensverträgen“, da diese in Art. 240 § 3 EGBGB eine spezielle Regelung erhalten haben. Gegenüber Kreditinstituten bleibt damit nur noch ein sehr eingeschränkter Anwendungsbereich für das Leistungsverweigerungsrecht in Art. 240 § 1 EGBGB. In Betracht kommen aber etwa Zahlungspflichten von Verbrauchern aus Fondsbeteiligungen zur Altersvorsorge.
Art. 240 § 1 Abs. 2 EGBGB enthält ein vergleichbares Leistungsverweigerungsrecht zugunsten von Kleinstunternehmen i.S.d. Kommissionsempfehlung 2003/361/EG (d.h. Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz bzw. einer Jahresbilanzsumme von nicht mehr als EUR 2 Mio.).
Darlehensvertragliche Sonderregelung in Art. 240 § 3 EGBGB
Gemäß Art. 240 § 3 Abs. 1 EGBGB gilt für
„Verbraucherdarlehensverträge, die vor dem 15. März 2020 abgeschlossen wurden (…), dass Ansprüche des Darlehensgebers auf Rückzahlung, Zins- oder Tilgungsleistungen, die zwischen dem 1. April 2020 und dem 30. Juni 2020 fällig werden, mit Eintritt der Fälligkeit für die Dauer von drei Monaten gestundet werden, wenn der Verbraucher aufgrund der durch Ausbreitung der COVID-19-Pandemie hervorgerufenen außergewöhnlichen Verhältnisse Einnahmeausfälle hat, die dazu führen, dass ihm die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht zumutbar ist. Nicht zumutbar ist ihm die Erbringung der Leistung insbesondere dann, wenn sein angemessener Lebensunterhalt oder der angemessene Lebensunterhalt seiner Unterhaltsberechtigten gefährdet ist. Der Verbraucher ist berechtigt, in dem in Satz 1 genannten Zeitraum seine vertraglichen Zahlungen zu den ursprünglich vereinbarten Leistungsterminen weiter zu erbringen. Soweit er die Zahlungen vertragsgemäß weiter leistet, gilt die in Satz 1 geregelte Stundung als nicht erfolgt.“
Darlehensgeber können sich nach Abs. 2 über alternative Hilfsmaßnahmen verständigen. Der Darlehensgeber „soll“ dem Verbraucher hierzu nach Abs. 4 S. 1 ein Gespräch anbieten. Ob der in Abs. 4 S. 2 gesetzlich erteilte Hinweis, das Gespräch dürfe unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln stattfinden, in Anbetracht des Regelungshintergrunds wirklich erforderlich war, lässt sich wohl bestreiten.
Einigen sich Darlehensgeber und Darlehensnehmer nicht für den Zeitraum nach dem 30. Juni 2020, verlängert sich die Laufzeit des Darlehens nach Abs. 5 S. 1 automatisch um drei Monate. Die „jeweilige Fälligkeit der vertraglichen Leistungen“ wird nach Abs. 5 S. 2 entsprechend hinausgeschoben.
Abs. 3 schließt zudem Kündigungen des Darlehensgebers
„wegen Zahlungsverzugs, wegen wesentlicher Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Verbrauchers oder der Werthaltigkeit einer für das Darlehen gestellten Sicherheit (…) im Fall des Absatzes 1 bis zum Ablauf der Stundung [aus].“
Für Darlehensgeber, denen „die Stundung oder der Ausschluss der Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls einschließlich der durch die COVID-19-Pandemie verursachten Veränderungen der allgemeinen Lebensumstände unzumutbar“ ist, gilt das darlehensrechtliche Moratorium ausdrücklich nicht (Art. 240 § 3 Abs. 6 EGBGB).
Von einer Erstreckung des Moratoriums auf Kleinstunternehmen (entsprechend Art. 240 § 1 EGBGB) oder andere Unternehmenskategorien hat der Gesetzgeber in Bezug auf Darlehensverträge noch Abstand genommen. Allerdings kann es schnell dazu kommen: Art. 240 § 3 Abs. 8 EGBGB ermächtigt die Bundesregierung, den personellen Anwendungsbereich per Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages um weitere Darlehensnehmergruppen zu erweitern.
II. Offene zivilrechtliche Fragen
Die Stundung in Art. 240 § 3 EGBGB hat gravierende wirtschaftliche Folgen für Kreditinstitute. Daher ist es besonders bedauerlich, dass die Regelung einige wichtige Anwendungsfragen offen lässt.
Unzumutbarkeit der Stundung / des Kündigungsausschlusses für den Darlehensgeber
Offensichtliche Auslegungsschwierigkeiten ergeben sich beispielsweise mit Blick auf das in Art. 240 § 3 Abs. 6 EGBGB enthaltene Unzumutbarkeitskriterium. Ist die Stundung bzw. der Ausschluss der Kündigung dem Darlehensgeber unzumutbar, sollen Art. 240 § 3 Abs. 1-5 EGBGB auf den jeweiligen Darlehensvertrag nicht anwendbar sein. Hier ist der erläuternde Zusatz, die Unzumutbarkeit sei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen, zum Verständnis der Regelung wenig hilfreich. Auch die Bezugnahme auf pandemiebedingte „Veränderungen der allgemeinen Lebensumstände“ schafft keine Klarheit.
Da die Unzumutbarkeit der Leistungserbringung auf Darlehens_nehmer_seite bereits Tatbestandsmerkmal der Stundung in Art. 240 § 3 Abs. 1 EGBGB ist, dürfte die konkrete finanzielle Situation des Darlehensnehmers keinen Einfluss auf die Unzumutbarkeit der Stundung nach Abs. 6 haben. Die Gesetzesmaterialien (Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 19/18110, S. 40) nennen stattdessen Falschangaben und betrügerisches Verhalten des Darlehensnehmers als Fallbeispiele.
Ob auch eine bedrohliche wirtschaftliche Lage des Darlehensgebers diesem erlaubt, sich auf die Unzumutbarkeit einer Stundung oder Kündigung zu berufen, wird weder im Gesetz selbst noch in den Materialien beantwortet. Für eine solche Auslegung ließe sich jedenfalls die Einbeziehung aller Einzelfallumstände in Art. 240 § 3 Abs. 6 EGBGB anführen. Es ist aber nicht auszuschließen, dass ein im Streitfall angerufenes Gericht dem Kreditinstitut versagen würde, seine wirtschaftliche Schieflage derart auf einen Darlehensnehmer „abzuwälzen“ – zumal die Erfüllung der darlehensvertraglichen Zins- und Tilgungsansprüche nach Art. 240 § 3 Abs. 1 EGBGB für den Darlehensnehmer ja ebenfalls „unzumutbar“ sein muss.
Entgeltlose Kapitalüberlassung?
Weiterhin ist zu fragen, ob die erzwungenermaßen verlängerte Kapitalüberlassung (Art. 240 § 3 Abs. 5 EGBGB) vom Darlehensnehmer zu vergüten ist oder ihm das Moratorium eine entgeltlose dreimonatige Kapitalüberlassung in Aussicht stellt. Für Letzteres ließe sich anführen, dass eine hinausgeschobene Fälligkeit der jeweiligen Zinszahlungen nach Abs. 5 S. 2 genau genommen zu einer über die verlängerte Laufzeit noch um drei Monate hinausreichenden Zinszahlungspflicht des Darlehensnehmers. Ob dies gewollt ist, erscheint zumindest fraglich.
Die besseren Argumente sprechen aber für eine Vergütung der verlängerten Kapitalüberlassung. Schon die verfassungsrechtliche Dimension des im Fall einer entgeltlosen Kapitalüberlassung von den Kreditinstituten verlangten Sonderopfers wäre hier zu bedenken. Vor allem aber spricht der Wortlaut in Art. 240 § 3 Abs. 1 EGBGB für eine fortbestehende Zinszahlungspflicht, da auch die zwischen dem 30. April 2020 und 30. Juni 2020 fällig werdenden Zinszahlungen ausdrücklich lediglich gestundet werden (und eben nicht entfallen) sollen.
III. Auswirkungen auf die Eigenmittelanforderungen der Kreditinstitute
Aus aufsichtsrechtlicher Perspektive sind vor allem Auswirkungen auf Eigenkapitalquoten der Kreditinstitute zu beachten. Denn der sog. Gesamtforderungsbetrag, in den auch die risikogewichteten Forderungsbeträge des Kreditinstituts nach Art. 92 Abs. 3 lit. a i.V.m. Artt. 111, 113 Verordnung (EU) 575/2013 (Capital Requirements Regulation – „CRR“) einfließen, dient als Divisor bei der Berechnung der nach Art. 92 Abs. 1 CRR einzuhaltenden Eigenkapitalquoten. Mit anderen Worten: In welcher Höhe Kreditinstitute offene Forderungen mit Eigenmitteln zu unterlegen haben, bestimmt sich auch nach der in der CRR vorgegebenen Risikogewichtung dieser Forderungen; erhöht sich der risikogewichtete Forderungswert, muss das Institut zur Einhaltung der Kapitalquoten mehr Eigenmittel vorhalten. Hierzu kommt es natürlich insbesondere bei einem Ausfall des Schuldners. Im Mengengeschäft etwa, zu dem die allermeisten Verbraucherdarlehensverträge gehören, erhöht sich bei Verwendung des Kreditrisikostandardansatzes das Risikogewicht im unbesicherten Teil von 75 % auf 100 oder sogar 150 % (Artt. 123 lit. a, Art. 127 Abs. 1 CRR).
Für einen Ausfall des Schuldners genügt es nach Art. 178 Abs. 1 lit. a CRR bereits, wenn das Institut die Begleichung der Verbindlichkeit als „unwahrscheinlich“ ansieht bzw. anzusehen hat. Ein „Hinweis“ hierauf ist nach Art. 178 Abs. 1 Abs. 3 lit. d CRR die
„krisenbedingte Restrukturierung der Verbindlichkeit (…), wenn dies voraussichtlich dazu führt, dass sich die finanzielle Verpflichtung durch einen bedeutenden Erlass oder durch Stundung des Nominalbetrags, der Zinsen oder gegebenenfalls der Gebühren verringert“.
Grundsätzlich haben Institute Forderungen jedenfalls bei einer stundungsbedingten Barwertverringerung von mehr als 1 % als nach Art. 178 Abs. 1 lit. a, Abs. 3 lit. d CRR „ausgefallen“ zu bewerten (BaFin-Rundschreiben 03/2019 (BA) i.V.m. Ziffn. 51 f. EBA/GL/2016/17). Die Frage, ob auch die pandemiebedingt gesetzlich angeordnete Stundung von Forderungen aus Darlehensverträgen als Schuldnerausfall i.S.d. Art. 178 CRR einzuordnen ist, drängt sich daher auf. Problematisch wäre dies naturgemäß insbesondere für Institute, die schon vor der COVID-19-Krise nur über eine eher dünne Eigenkapitaldecke verfügten.
Ad-hoc-Leitlinien der EBA zu COVID-19-Moratorien
Um die mittelbaren Auswirkungen der COVID-19-Moratorien auf die Eigenmittelberechnung der Kreditinstitute abzufedern, hat die EBA am 02. April 2020 Leitlinien (EBA/GL/2020/02) erlassen – und dabei aus offensichtlichen Gründen auf Konsultationen und eine Kosten-Nutzen-Analyse verzichtet. Kernaussage ist, dass Moratorien, die gewisse Kriterien erfüllen, nicht als Stundungsmaßnahmen i.S.d. Art. 47b CRR zu werten und die betroffenen Schuldner nicht per se als i.S.d. Art. 178 Abs. 3 lit. d CRR ausgefallen einzuordnen sind (Ziff. 13 EBA/GL/2020/02).
Die Bedingungen, die Moratorien für eine Anwendbarkeit der Leitlinien zu erfüllen haben, listet die EBA im Detail auf. Das jeweilige Moratorium muss danach
- in Reaktion auf die COVID-19-Pandemie erlassen worden sein (Ziff. 16 EBA/GL/2020/02);
- eine hinreichend große Zahl von Anwendern haben. Dies betrifft v.a. nicht-gesetzliche Moratorien, die in verschiedenen Mitgliedstaaten (meist auf Betreiben von Institutsverbänden) existieren (Ziffn. 17-19 EBA/GL/2020/02);
- auf eine hinreichend große Gruppe von Schuldnern ohne Rücksicht auf individuelle Faktoren (wie z.B. die Kreditwürdigkeit eines konkreten Schuldners) anwendbar sein (Ziffn. 20-22 EBA/GL/2020/02);
- auf eine Änderung des Zahlungsplans beschränkt sein (Ziffn. 24 u. 25 EBA/GL/2020/02);
- auf Darlehensverträge beschränkt sein, die vor Inkrafttreten des Moratoriums abgeschlossen wurden (Ziffn. 26 u. 27 EBA/GL/2020/02); und
- für alle umfassten Forderungen dieselben rechtlichen Folgen vorsehen. Sehen die Regelungen für verschiedene Fälle unterschiedliche rechtliche Folgen vor, handelt es sich für die Zwecke der Leitlinien um mehrere Moratorien, die jeweils für sich die genannten Kriterien zu erfüllen haben (Ziff. 23 EBA/GL/2020/02).
Update: Mit Beschluss vom 18. Juni 2020 hat die EBA die Verlängerung ihrer Leitlinien bis zum 30. September 2020 beschlossen. Damit trägt die EBA den noch immer fortdauernden Auswirkungen der COVID19-Pandemie Rechnung.
Einordnung des deutschen Moratoriums
Die deutschen Bestimmungen in Art. 240 § 1 und § 3 EGBGB dürften den EBA-Leitlinien unterfallen. Insbesondere sind danach keine institutsindividuellen Faktoren wie die Kreditwürdigkeit des Schuldners zu prüfen. Dass nur Schuldner umfasst sind, die aufgrund der Pandemie Einnahmeausfälle erlitten haben, sieht die EBA ausdrücklich nicht als hinderlich an (Ziff. 22 EBA/GL/2020/02).
Auch die BaFin versteht Art. 240 § 3 Abs. 1 EGBGB als „allgemeines“ Moratorium i.S.d. EBA-Leitlinien EBA/GL/2020/02 (BaFin, FAQ Aufsichtliche und regulatorische Maßnahmen als Reaktion auf Covid-19, Eintrag „Allgemeines Zahlungsmoratorium: Wie wenden BaFin und Deutsche Bundesbank die EBA-Leitlinien EBA/GL/2020/02 an?“). Das Zahlungsmoratorium in Art. 240 § 3 Abs. 1 EGBGB soll daher selbst dann nicht zur Bewertung von Darlehensforderungen als „ausgefallen“ i.S.d. Art. 178 Abs. 1 lit. a, Abs. 3 lit. d CRR zwingen, wenn sich hierdurch eine Barwertverringerung von mehr als 1 % ergibt (vgl. BaFin-Rundschreiben 03/2019 (BA) i.V.m. Ziffn. 51 f. EBA/GL/2016/17).
Nichts anderes dürfte auch für Art. 240 § 1 Abs. 1 EGBGB gelten.
Offene Fragen zu den Eigenmittelanforderungen
Dennoch werden Institute im Zusammenhang mit dem Moratorium bei der Eigenmittelberechnung vor rechtliche Herausforderungen gestellt.
So ist zu beachten, dass die Leitlinien der EBA nur eine pauschale Einstufung als Schuldnerausfall auf Grundlage eines Moratoriums verhindern wollen. Liegen andere, ggf. auch krisenbedingte Gründe für einen Ausfall i.S.d. Art. 178 CRR vor, haben die Institute dies selbstverständlich zu berücksichtigen (so auch ausdrücklich Ziffn. 7 u.11 EBA/GL/2020/02). Die Leitlinien reduzieren also nicht den Aufwand, den die Institute zur Ermittlung ihrer Eigenmittelanforderungen zu betreiben haben.
Speziell in Bezug auf das deutsche Moratorium ist insbesondere offen, wie Darlehensrestrukturierungen zu handhaben sind, auf die sich die Parteien nach Art. 240 § 3 Abs. 2 EGBGB geeinigt haben. Solche Restrukturierungen ersetzen die ansonsten vorgesehene Stundung, was dafür spricht, auch sie nicht pauschal als Schuldnerausfall zu bewerten, selbst wenn sich hierdurch eine gravierende Barwertverringerung für die Institute ergibt. Andererseits sind die EBA Leitlinien auf individuell mit dem Schuldner vereinbarte Restrukturierungen gerade nicht anwendbar. Bei der Restrukturierung werden Institute die ansonsten gesetzlich eintretende Stundung ebenso berücksichtigen wie die konkrete finanzielle Lage des Schuldners, so dass bei einer gravierenden Barwertverringerung auch von einem Schuldnerausfall entsprechend der Vorgabe in Ziffn. 51 f. EBA/GL/2016/17 auszugehen sein könnte.
Darüber hinaus wird es aller Voraussicht nach im Zusammenhang mit dem Moratorium auch Stundungen oder Restrukturierungen von Darlehen geben, die (noch) nicht unter die gesetzliche Regelung fallen. Denn ob die Bundesregierung von der Möglichkeit nach Art. 240 § 3 Abs. 8 EGBGB Gebrauch macht, den personellen Anwendungsbereich von Art. 240 § 3 EGBGB auf Darlehen an Unternehmen zu erweitern, wird wesentlich davon abhängen, wie weit Kreditinstitute den pandemiebedingt notleidenden Unternehmen von sich aus entgegenkommen. Hier kann es dazu kommen, dass Darlehensforderungen aufgrund der Restrukturierungsmaßnahmen bis zur Erweiterung des Moratoriums als nach Art. 178 Abs. 1 lit. a, Abs. 3 lit. d CRR ausgefallen zu bewerten sind, nach einer solchen Erweiterung aber in Anwendung der EBA-Leitlinien nicht mehr. Sachlich ließe sich ein solches Ergebnis mit Blick auf die unveränderte Risikostruktur kaum rechtfertigen.
IV. Fazit
Das deutsche Moratorium auf Darlehensforderungen in Art. 240 § 3 EGBGB schafft wirtschaftliche Entlastung für Verbraucher, die in der Pandemie Einnahmeausfälle erlitten haben, und belastet spiegelbildlich die darlehensgebenden Kreditinstitute. Wie schwerwiegend diese Belastungen ausfallen, ist angesichts einiger bislang ungeklärter rechtlicher Fragen zum Umfang des Moratoriums, insbesondere zum Fortbestand der Zinszahlungspflicht, noch offen. Werden die Institute zeitweise zur entgeltlosen Kapitalüberlassung verpflichtet, sind die Einschnitte massiv.
In aufsichtsrechtlicher Hinsicht besteht weiterhin Klärungsbedarf zu etwaigen Auswirkungen des Moratoriums auf die Eigenmittelanforderungen der Institute. Die hierzu ergangenen EBA-Leitlinien EBA/GL/2020/02 schaffen vor allem wirtschaftliche Entlastung, indem sie die pauschale Klassifizierung als Schuldnerausfall verhindern und den Kreditinstituten auf diese Weise etwas „Luft“ bei der Eigenkapitalquotenberechnung verschaffen. Rechtliche Klarheit bringen die Leitlinien aber nur sehr bedingt. Tatsächlich werden sich für Kreditinstitute durch die Leitlinien sogar neue, angesichts der Bedeutung der Eigenmittelanforderungen in der anstehenden wirtschaftlichen Krisenzeit dringend zu beantwortende rechtliche Fragen stellen.
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