Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 28.06.2022 – Az. 4 K 4039/20: Sind Konzerndarlehen und Gesellschafterdarlehen als Einlagen- und Kreditgeschäft erlaubnispflichtig gem. KWG?

In einem Urteil vom 28.06.2022, Aktenzeichen: 4 K 4039/20, hat sich das Finanzgericht Berlin-Brandenburg ablehnend gegenüber der Verwaltungspraxis der BaFin zum Einlagen- und Kreditgeschäft nach § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 KWG positioniert: Nach Ansicht des Finanzgerichts scheidet die Einordnung eines Konzern- bzw. Gesellschafterdarlehens als Einlagen- und Kreditgeschäft nicht allein aufgrund der Treuepflicht der Gesellschafter aus.

Die Entscheidung des Finanzgerichts ist aus aufsichtsrechtlicher Perspektive bisher nicht rezipiert worden. Trotzdem ist die zugrundeliegende Argumentation des Finanzgerichts ernst zu nehmen. Nur in bestimmen Fällen wird sich daraus aber konkreter Handlungsbedarf für die Praxis der Konzernfinanzierung und der Gesellschafterdarlehen ergeben.

Gewerbesteuerrechtlicher Hintergrund

Dem Urteil liegt eine gewerbesteuerrechtliche Streitigkeit zugrunde. Im Kern stellte sich die Frage, ob bei der Gewerbesteuerveranlagung des klagenden Unternehmens eine bestimmte Privilegierung in Bezug auf ein an eine Tochtergesellschaft ausgereichtes Darlehen anwendbar war oder nicht. Diese Privilegierung gilt für Entgelte für Schulden und ihnen gleichgestellte Beträge, die Kreditinstitute im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 2 KWG einnehmen (vgl. § 8 Nr. 1 lit. a GewStG, § 19 Abs. 1 GewStDV – sog. gewerbesteuerrechtliches Bankenprivileg).

Das klagende Unternehmen hatte innerhalb der eigenen Unternehmensgruppe verschiedene Darlehen ausgereicht. Dementsprechend vertrat das klagende Unternehmen, es sei ein Kreditinstitut im Sinne des KWG und könne insofern auch die Privilegierung für seine Zinseinnahmen aus dem betreffenden Konzerndarlehen in Anspruch nehmen.

Die Behörde vertrat demgegenüber – entlang der Verwaltungspraxis der BaFin –, das für die Gewerbesteuerveranlagung relevante Darlehen an eine Tochtergesellschaft sei nicht als Kreditgeschäft im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 KWG einzuordnen, da es sich um ein Gesellschafterdarlehen handle und deshalb nur in den Grenzen der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zurückgefordert werden könne. Es sei also hinreichend bedingt, um weder als Einlagen- noch als Kreditgeschäft im Sinne des KWG eingeordnet zu werden. Deshalb könne das Darlehen nicht als Kreditgeschäft für die Anwendung der Privilegierung berücksichtigt werden.

Konzerndarlehen und Gesellschafterdarlehen in der Verwaltungspraxis der BaFin

Die BaFin geht in ihrer Verwaltungspraxis zum Einlagen- und Kreditgeschäft davon aus, dass Gesellschafterdarlehen in bestimmten Fällen als „hinreichend bedingt“ angesehen werden können und dann weder den Tatbestand des Einlagengeschäfts noch den Tatbestand des Kreditgeschäfts im Sinne des KWG erfüllen (siehe Merkblatt zum Tatbestand des Kreditgeschäfts, Ziff. I.1.c).ee)) und Merkblatt zum Tatbestand des Einlagengeschäfts , Ziff. I.5.b)). Derartige Gelder der Gesellschafter erfüllen nach Ansicht der BaFin nicht den Sinn und Zweck der gesetzlichen Erlaubnispflicht nach § 32 Abs. 1 KWG, da der Darlehensnehmer (= die Gesellschaft) kein größeres Schutzbedürfnis habe als der Darlehensgeber (= der Gesellschafter).

Die BaFin verweist zur näheren Eingrenzung der hiermit gemeinten Fälle auf Ziff. I.5.b des Merkblatts zum Tatbestand des Einlagengeschäfts. Dort führt die BaFin wiederum zu Gesellschafterdarlehen folgendes aus:

„Die Qualifikation dieser Gelder als Einlagengeschäft steht und fällt mit der Unbedingtheit des Rückzahlungsanspruchs. Die insolvenzrechtliche Rangfolge im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO […] stellt für sich genommen noch keine hinreichende Bedingung dar, die geeignet wäre, den Tatbestand des Einlagengeschäfts auszuschließen, da der Zahlungsanspruch außerhalb der Insolvenz unbedingt bliebe. Hinzukommen muss vielmehr eine vorinsolvenzliche Durchsetzungssperre […].

Eine derartige Bedingung des Zahlungsanspruchs ergibt sich grundsätzlich aus dem gesellschaftsrechtlichen Grundsatz der Treuepflicht. Eine Ausprägung der Treuepflicht ist, dass Ansprüche des Gesellschafters gegen die Gesellschaft nicht durchsetzbar sind, wenn ihre Geltendmachung die Gesellschaft in die Zahlungsunfähigkeit triebe. Eine solche insolvenzverhindernde Entnahme- und Ausschüttungssperre ist bei Kapitalgesellschaften und diesen gleichgestellten Personenhandelsgesellschaften gesetzlich verankert [Verweis auf gesellschaftsrechtliche Vorgängernormen zu § 15b InsO].“

Argumentation des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg

Diese Verwaltungspraxis lehnt das Finanzgericht Berlin-Brandenburg ausdrücklich ab. Hierbei stützt es sich im Kern auf drei Argumente:

  • Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht wirkt sich auf die Geltendmachung von Gewinnauszahlungsansprüchen und anderen Ansprüchen zur Entnahme aus dem Eigenkapital der Gesellschaft aus, aber regelmäßig nicht auf Ansprüche auf Fremdkapitalforderungen (wie z.B. Konzern- und Gesellschafterdarlehen). Insofern verstehe die BaFin die Wirkung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht falsch.

  • Die Annahme der BaFin, die Bedingtheit von Rückzahlungsansprüchen auf Konzern- und Gesellschafterdarlehen durch die Treuepflicht sei gesetzlich verankert, trifft nicht zu. Die zitierten Normen schützen die übrigen Gläubiger der Gesellschaft im Insolvenzfall; die Treuepflichtbindung der Gesellschafter besteht aber nicht gegenüber den Gläubigern, sondern zwischen den Mitgesellschaftern untereinander bzw. gegenüber der Gesellschaft. Dementsprechend träfen die zitierten Normen überhaupt keine Aussage über die Wirkungen der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht.

  • Die Rückzahlung eines fälligen Konzern- oder Gesellschafterdarlehens kann nicht zur Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft führen. Denn durch eine Zahlung auf eine fällige Darlehensverbindlichkeit findet bilanziell ein Aktiv-Passiv-Tausch statt, der keine Überschuldung auslösen kann. Die zitierten Normen könnten demnach allenfalls (und nur im Ausnahmefall) zu einer Bedingtheit des Rückzahlungsanspruchs vor Fälligkeit des Darlehens führen, nicht aber nach Eintritt der Fälligkeit. Dementsprechend genüge die Wirkung der zitierten Normen nicht dem von der BaFin selbst formulierten Maßstab der hinreichenden Bedingtheit.

Diese Argumente und die zugrundeliegende Diskussion um die Treuepflichtbindung von Gesellschafterdarlehen sind nicht neu. Die Ausführungen der BaFin zur Treuepflicht werden schon seit ihrer Aufnahme im Merkblatt 2014 kritisiert und auch in der aktuellen gesellschaftsrechtlichen Diskussion nach wie vor für fragwürdig gehalten.

Diese Kritik an der Sichtweise der BaFin ist aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive durchaus fundiert und im Wesentlichen nachvollziehbar.

BaFin-Verwaltungspraxis wird dadurch nicht obsolet

Gleichwohl führt das nicht zwingend dazu, dass sich insbesondere Konzernfinanzierungsgesellschaften künftig nicht mehr auf die Verwaltungspraxis der BaFin verlassen könnten. Das wird insbesondere vor dem Hintergrund der Entstehung der von der BaFin formulierten Einschränkungen deutlich.

Die Ausführungen zur gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht und zur daraus folgenden Bedingtheit von Rückzahlungsansprüchen wurden 2014 von der BaFin in das Merkblatt zum Tatbestand des Einlagengeschäfts aufgenommen (Änderung am 11.03.2014). Der Verweis auf diese Ausführungen im Merkblatt zum Tatbestand des Kreditgeschäfts folgte kurz danach (Änderung am 25.04.2014).

Vorangegangen waren mehrere Urteile des BGH zum Tatbestand des Einlagengeschäfts (siehe Urt. v. 19.03.2013, Az. VI ZR 56/12 – „Winzergelder“) sowie zur Wirkung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht (siehe Urt. v. 07.03.2013, Az. IX ZR 7/12 und Urt. v. 04.07.2013, Az. IX ZR 229/12). Infolge dieser Urteile trat insbesondere das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in eine Diskussion mit der BaFin ein, um darauf hinzuwirken, dass Gesellschafterdarlehen (vor allem an Personenhandelsgesellschaften) aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Treuepflichtbindung nicht dem Anwendungsbereich des KWG und den entsprechenden aufsichtsrechtlichen Folgen unterworfen würden. Die BaFin schloss sich dieser Ansicht an und nahm die oben genannte Formulierung zur Treuepflicht in Anlehnung an die Formulierung in den Urteilen des BGH in das Merkblatt zum Tatbestand des Einlagengeschäfts auf.

Hieraus ergibt sich folgende Differenzierung:

Die BaFin verfolgte 2014 nicht das Anliegen, die gesellschaftsrechtlich umstrittene Frage nach den Wirkungen der Treuepflicht im Hinblick auf Konzern- und Gesellschafterdarlehen zu diskutieren oder zu klären. Vielmehr war der BaFin daran gelegen, den Tatbestand des Einlagengeschäfts (und dementsprechend auch des Kreditgeschäfts) orientiert am Schutzzweck des KWG und im Einklang mit dem Feedback aus der Praxis sinnvoll zu begrenzen.

Das Anliegen einer zweckorientierten Begrenzung eines aufsichtsrechtlich relevanten Tatbestands ist aber gerade nicht deckungsgleich mit der Frage nach der Reichweite der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht.

Das bedeutet, dass es für das Anliegen der BaFin schon von vorne herein nicht unmittelbar auf die tatsächliche rechtliche Reichweite der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht ankam. Dementsprechend scheint die gesellschaftsrechtliche Korrektheit der Ausführungen im BaFin-Merkblatt im Ergebnis weniger maßgeblich dafür, wie die Tatbestände des Einlagen- und Kreditgeschäfts in der Verwaltungspraxis der BaFin jeweils sinnvoll und zweckorientiert begrenzt werden müssen.

Dass das Finanzgericht Berlin-Brandenburg die schon seit zehn Jahren bestehende gesellschaftsrechtliche Kritik an der Verwaltungspraxis der BaFin nun aufgreift, verändert deshalb zunächst nichts an dem von der BaFin (zu Recht) verfolgten Anliegen einer zweckorientierten Einschränkung der Erlaubnispflicht für Konzern- und Gesellschafterdarlehen.

Einzelfallprüfung bei Konzern- und Gesellschafterdarlehen erforderlich

Diese Erwägungen können gleichwohl nicht als Garantie dafür verstanden werden, dass die BaFin in jedem Fall an ihrer (gesellschaftsrechtlich zu Recht kritisierten) Verwaltungspraxis festhalten wird.

In vielen Fällen wird es aber praktisch nicht auf die Frage ankommen, ob die Treuepflichtbindung bei Konzern- und Gesellschafterdarlehen ausreicht, um eine hinreichende Bedingtheit eines Darlehens zu begründen.

  • Im Hinblick auf das Einlagengeschäft werden Darlehen von verbundenen Unternehmen (im Sinne von §§ 15 bis 19 AktG) und von persönlich haftenden Gesellschaftern von der BaFin regelmäßig nicht als „Gelder des Publikums“ eingeordnet. Dementsprechend werden viele Konzern- und Gesellschafterdarlehen schon deshalb nicht als Einlagengeschäft im Sinne des KWG einzuordnen sein. Zu beachten ist dabei, dass diese Einschränkung des Tatbestandes des Einlagengeschäfts nicht für den Tatbestand des Kreditgeschäfts gilt. Denn das Kreditgeschäft setzt tatbestandlich schon nicht voraus, dass die entsprechenden Geschäfte für „das Publikum“ oder „für andere“ betrieben werden.

  • Konzernfinanzierungsgesellschaften können sich zudem in vielen Fällen auf die Ausnahme für Unternehmen, die Bankgeschäfte ausschließlich mit Mutter-, Tochter oder Schwesterunternehmen betreiben, berufen. Es handelt sich um das sogenannte Konzernprivileg gemäß § 2 Nr. 7 KWG. Dessen Anwendbarkeit setzt aber insbesondere voraus, dass Einlagen- und Kreditgeschäfte ausschließlich mit den genannten Konzernunternehmen betrieben werden. Die BaFin geht davon aus, dass schon ein einziges Geschäft mit einem anderen Unternehmen insgesamt dazu führt, dass das Konzernprivileg insgesamt nicht anwendbar ist.

  • Schließlich werden Konzern- und Gesellschafterdarlehen auch dann nicht der Aufsicht der BaFin unterfallen, wenn die Wesentlichkeitsschwelle gemäß § 32 Abs. 1 S. 1 KWG nicht überschritten wird – wenn die betreffenden Einlagen- und Kreditgeschäfte also weder gewerbsmäßig noch in einem Umfang betrieben werden, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erforderlich machen würde.

Die genannten Aspekte (Gelder des Publikums, Konzernprivileg, Wesentlichkeitsschwelle) sind stets einzelfallbezogen zu prüfen. Greifen eine oder mehrere dieser tatbestandlichen Einschränkungen bzw. Ausnahmen, kann eine Befassung mit der Frage nach der Treuepflichtbindung von Gesellschafterdarlehen unter Umständen sogar vollständig entfallen.

In Zweifelsfällen kann es schließlich empfehlenswert sein, Konzern- und Gesellschafterdarlehen so zu gestalten, dass sie – unabhängig von der diskutierten Treuepflichtbindung – einem vertraglich vereinbarten qualifizierten Nachrang unterliegen. Die Vereinbarung eines wirksamen qualifizierten Nachrangs führt nach der Verwaltungspraxis der BaFin nämlich ebenso dazu, dass ein Darlehen aufgrund der Bedingtheit weder als Einlagen- noch als Kreditgeschäft im Sinne des KWG einzuordnen ist.

Die aufgezeigten tatbestandlichen Beschränkungen, Ausnahmen und Gestaltungsmöglichkeiten machen eines deutlich: Eine sorgfältige Einzelfallprüfung bzw. eine passende Ausgestaltung von Konzern- bzw. Gesellschafterdarlehen wird etwaigen Zweifeln im Hinblick auf die Wirkungen und die Reichweite der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht in den meisten Fällen ihre Relevanz nehmen können.

Auch darüber hinaus zeigt die Entstehungsgeschichte der Ausführungen der BaFin zur gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht, dass das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg die seit 2014 bestehende Verwaltungspraxis der BaFin kaum obsolet machen dürfte.

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