Beratungen im Bundestag: BaFin soll Post-Brexit befristete EU-Passports erteilen dürfen
Der „Hard Brexit“ ist angesichts der andauernden Debatten um das Austrittsabkommen im britischen Parlament und der verhärteten Verhandlungspositionen zwischen London und Brüssel zu einem sehr realistischen Szenario geworden. Das Vereinigte Königreich wäre dann ab dem 30. März 2019, 00:00 Uhr, im Verhältnis zu Deutschland und der EU ein Drittstaat – ohne bilaterale Abkommen zur Anerkennung von aufsichtsrechtlichen Erlaubnissen im Finanzsektor.
Unternehmen mit Besitz einer Erlaubnis aus UK, die bisher über das sogenannte EU-Passporting ohne Erlaubnis der BaFin bzw. der EZB ihre Bankgeschäfte, Finanzdienstleistungen oder Zahlungsdienste grenzüberschreitend nach Deutschland hinein oder über eine in Deutschland errichtete Niederlassung anbieten dürfen, werden dann über Nacht erlaubnispflichtig.
Die Bundesregierung will mit dem „Entwurf eines Gesetzes über steuerliche und weitere Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union“ (Brexit-StBG) die Folgen dieses harten Schnittes für Märkte und Marktteilnehmer in Deutschland abfedern und Schockwirkungen vermeiden. Der Gesetzesentwurf sieht daher neben u.a. diversen steuerlichen Regelungen eine Ergänzung von § 53b Kreditwesengesetz (KWG) vor. Diese Vorschrift, die das EU-Passporting für Bankgeschäfte und Finanzdienstleistungen in das deutsche Recht umsetzt, soll in einem neuen Absatz 12 um eine Ermächtigungsgrundlage für die BaFin ergänzt werden, wonach die BaFin die EU-Passporting-Regelungen für einen Übergangszeitraum bis spätestens Ende 2020 auf solche Unternehmen mit Sitz in UK, die zum Austrittszeitpunkt das EU-Passporting für Deutschland in Anspruch nehmen, für entsprechend anwendbar erklären kann.
Es gelten jedoch zwei Einschränkungen: Eine solche Anordnung der BaFin muss erstens „zur Vermeidung von Nachteilen für die Funktionsfähigkeit oder die Stabilität der Finanzmärkte“ dienen. Zweitens gilt die entsprechende Anwendbarkeit der EU-Passporting-Regelungen „nur, soweit die Unternehmen nach dem Austritt Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistungen erbringen, die in engem Zusammenhang mit zum Zeitpunkt des Austritts bestehenden Verträgen stehen“.
Die Gesetzesbegründung nennt einige wenige Beispiele, bei denen auch angesichts dieser Einschränkungen eine EU-Passporting-Anordnung durch die BaFin in Frage kommen soll. Diese Beispiele zeigen, dass hier in erster Linie an grenzüberschreitende Finanzderivate gedacht wird – ein Bereich, in dem britische Institute in der Tat in großem Umfang in Deutschland bzw. nach Deutschland hinein tätig sind. Die Gesetzesbegründung nennt zum einen „Geschäfte zur Glattstellung von vertraglich begründeten Risikopositionen“. Das meint wohl Vorgänge des sog. „Liquidations-Nettings“ (auch „Close-out Netting“ genannt), bei dem Bündel von laufenden gegenseitigen Finanzverträgen (z.B. Währungs- oder Zinsswaps) unter dem Dach eines Rahmenvertrages vorzeitig abgewickelt werden, unter Saldierung aller ggf. fälligen, aber noch nicht geleisteten Zahlungen sowie der Summe der aufaddierten (positiven und negativen) Marktwerte der noch nicht fälligen Einzelabschlüsse. Die Gesetzesbegründung nennt zum anderen das Beispiel der „Einbeziehung eines bestehenden Vertrages in eine Portfoliokompression“, also die Reduzierung der Anzahl gebuchter Verträge durch die Auflösung sich gegenseitig aufhebender Geschäfte. Darüber hinaus werden als Beispiel „wirtschaftlich übliche Folgegeschäfte (wie etwa Prolongationen)“ genannt, womit wohl auch Kredit-Prolongationen im Bankgeschäft gemeint sind sowie die „Ausübung von vertraglich eingeräumten Rechten (wie etwa Optionen oder Wandlungsrechte)“.
Der im Gesetzestext geforderte „enge Zusammenhang mit zum Zeitpunkt des Austrittes bestehenden Verträgen“ ist bei den genannten Beispielen in der Tat gegeben. Hinzukommen müssen jeweils noch drohende „Nachteile für die Funktionsfähigkeit oder die Stabilität der Finanzmärkte“, die es dann durch die BaFin-Anordnung zu vermeiden gilt. Die BaFin muss sich allerdings nicht bei jedem einzelnen UK-Institut der „Systemrelevanz“ der betriebenen Geschäfte vergewissern. Vielmehr kann die BaFin auch eine Kategorie von UK-Instituten in ihrer Summe als entsprechend relevant einstufen und im Wege der Allgemeinverfügung die Weitergeltung des EU-Passportings für die gesamte Kategorie von UK-Instituten anordnen.
Die BaFin-Ermächtigung ist damit insgesamt sehr begrenzt. Sie ist praktisch nur auf großvolumige Finanzmarkttransaktionen im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Hard Brexit anwendbar. Offenbar soll nach dem Willen der Bundesregierung z.B. die Neuvergabe eines Unternehmenskredites, einer Immobilienfinanzierung oder das gesamte Segment des Verbrauchergeschäftes ab dem Wirksamwerden des Hard Brexit ohne jede Übergangsfrist oder Abfederung durch die BaFin unzulässig sein, wenn das UK-Institut nicht rechtzeitig bis Ende März 2019 über eine eigene deutsche KWG-Erlaubnis verfügt. Auch Prolongationen derartiger Geschäfte wären nach dem gegenwärtigen Gesetzesentwurf keiner derartigen befristeten BaFin-Duldungsanordnung zugänglich, weil es wohl kaum zur Wahrung der „Funktionsfähigkeit und Stabilität der Finanzmärkte“ erforderlich sein dürfte, derartige Geschäfte von UK-Instituten zu prolongieren.
Zudem ist der gesamte Bereich der Zahlungsdienste von der BaFin-Ermächtigung gemäß dem Brexit-StBG ausgenommen. Ein britisches Institut, das z.B. für ein deutsches Unternehmen die Zahlungsabwicklung übernimmt, etwa die Abwicklung von eCommerce Zahlungen auf der Empfängerseite (Acquiring), kommt für eine befristete BaFin-Duldungsanordnung gemäß dem Brexit-StBG ebenso wenig in Betracht wie ein britisches FinTech-Unternehmen, das gegenwärtig im Wege des EU-Passportings in Deutschland Zahlungsdienste anbietet.
Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass die britische Seite im Falle eines Hard Brexit in dieser Frage deutlich großzügiger sein wird. Die zuständige Financial Conduct Authority (FCA) hat bereits angekündigt, dass EU-Instituten mit einem gegenwärtigen EU-Passport für UK eine dreijährige Übergangsfrist gewährt wird, innerhalb derer sie einen Erlaubnisantrag für eine britische Lizenz erlangen können (Temporary Permissions Regime for Inbound Passporting EEA Firms). Ein solch langer Übergangszeitraum von drei Jahren könnte von deutscher Seite bilateral sicherlich nicht gewährt werden. Denn die einschlägige EU-Richtlinie (Art. 8, 33 ff. der EU-Bankenrichtlinie „CRD IV“) erlaubt den EU-Mitgliedstaaten nicht die freihändige Anerkennung von Erlaubnissen aus Drittstaaten. Allerdings haben die nationalen Behörden der EU-Mitgliedsstaaten auch nach der EU-Bankenrichtlinie ein Ermessen bei der angemessenen Durchsetzung der bestehenden Erlaubnispflichten. Dies dürfte die übergangsweise Duldung der bisher via EU-Passporting erbrachten Dienstleistungen von UK-Instituten durch die BaFin in Deutschland rechtfertigen – jedenfalls soweit diese UK-Institute hier einen Erlaubnisantrag stellen – und zwar für die angemessene Dauer eines solchen Erlaubnisverfahrens und auch für solche Dienstleistungen, die nicht die Funktionsfähigkeit bzw. Stabilität der Finanzmärkte berühren. Es fragt sich, wem damit gedient wäre, britischen Instituten unterhalb der Schwelle der Systemrelevanz nicht die Chance zu geben, auch jetzt noch einen Erlaubnisantrag in Deutschland zu stellen, und zwar ohne sie dabei de facto zu einem disruptiven Abbruch ihrer bestehenden Geschäftsbeziehungen zu zwingen.
Allerdings haben die parlamentarischen Beratungen in Deutschland gerade erst begonnen. Am 30.01.2019 hat der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages den Gesetzesentwurf in einer ersten nichtöffentlichen Sitzung beraten. Anschließend wurden weitere Beratungen des Finanzausschusses und eine öffentliche Anhörung für den 11.02.2019 angekündigt. In der ersten Lesung des Brexit-StBG im Deutschen Bundestag am 31.01.2019 wurde von Seiten der Opposition (FDP) eine flexiblere Formulierung der BaFin-Ermächtigung in § 53b Absatz 12 KWG gefordert. Es ist also noch nicht das letzte Wort über das Brexit-StBG gesprochen.
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