BaFin-Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat am 15. Januar 2020 nun auch die englische Übersetzung ihres am 20. Dezember 2019 herausgegebenen Merkblatts zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken veröffentlicht. Zu dem vorangegangenen Entwurf vom 24. September 2019 hatte die Deutsche Kreditwirtschaft im Rahmen des Konsultationsverfahrens ausführlich Stellung genommen.

Das Merkblatt enthält eine Zusammenstellung zunächst noch unverbindlicher Verfahrensweisen im Sinne von Good-Practice-Ansätzen, an denen sich die beaufsichtigten Unternehmen bei der Erfassung von Nachhaltigkeitsrisiken orientieren können bis diese (wohl im Laufe der kommenden ein bis zwei Jahre) in verbindliche Regulierung umgesetzt werden. Ungeachtet der Unverbindlichkeit des Merkblatts empfiehlt die BaFin den Adressaten die „strategische Befassung“ mit Nachhaltigkeitsrisiken schon während der für 2020 geplanten Erarbeitung aufsichtlicher Maßnahmen.

Mit dem Merkblatt greift die BaFin aufsichtsbezogenen Teilen des Aktionsplans der Europäischen Kommission zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums vom März 2018 sowie möglichen Empfehlungen des „Network for Greening the Financial System“ (NGFS) vor, in dem die Deutsche Bundesbank und die BaFin vertreten sind.

Ziel ist es dabei, aus Nachhaltigkeitsthemen resultierende Kundenrisiken den von der BaFin beaufsichtigten Kreditinstituten, Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Kapitalverwaltungsgesellschaften und Versicherungsunternehmen bewusst zu machen, um ein entsprechendes Risikomanagement implementieren zu können. Mittelbar dürfte diese Praxis auch Einfluss auf die Kunden der beaufsichtigten Unternehmen und deren Nachhaltigkeitsanforderungen haben.

I. Adressaten und Gegenstand des Merkblatts

Das BaFin-Merkblatt richtet sich an alle von der BaFin beaufsichtigten Unternehmen einschließlich Kreditinstituten, Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Kapitalverwaltungsgesellschaften und Versicherungsunternehmen. Die von der BaFin beaufsichtigten Unternehmen sind damit – ungeachtet der Unverbindlichkeit der im Merkblatt formulierten Anforderungen – schon jetzt gehalten, Nachhaltigkeitsrisiken in ihrem Risikomanagement nach MaRisk zu berücksichtigen und dies zu dokumentieren.

Das Nachhaltigkeitsverständnis der BaFin ist dabei umfassend und bezieht ökologische, soziale und unternehmensführungsbezogene, so genannte ESG Faktoren (Environment/Social/Governance), ein. Die BaFin erwartet von den beaufsichtigten Unternehmen ausdrücklich eine im Hinblick auf ihr jeweiliges Risikoprofil proportional angemessene verstärkte Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsrisiken und deren Dokumentation. Mit dem Merkblatt verdeutlicht sie zudem einen verstärkten aufsichtlichen Fokus auf Nachhaltigkeitsthemen im Finanzsektor für die Zukunft.

Das Merkblatt konkretisiert insofern die Risikomanagementanforderungen der MaRisk in Bezug auf Nachhaltigkeitsrisiken ohne bereits konkrete Prüfungsmaßstäbe zu formulieren. Der Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken wird nach dem Merkblatt zudem zukünftig Gegenstand der Überprüfung im Rahmen der laufenden Aufsicht und von Stresstests sein.

II. Die wichtigsten Neuerungen für von der BaFin beaufsichtigte Unternehmen

Der BaFin zufolge soll das Thema Nachhaltigkeit in allen Aspekten der Unternehmensführung einschließlich der strategischen Ausrichtung berücksichtigt werden. Dies soll sowohl eine Überprüfung der Geschäftsstrategie als auch der Risikostrategie der Unternehmen umfassen. Beaufsichtigte Unternehmen können entweder eine eigenständige Strategie für Nachhaltigkeitsrisiken entwickeln oder bestehende Strategien um Nachhal-tigkeitsaspekte erweitern. Die Unternehmen sollen dabei Nachhaltigkeitsrisiken, welche die Vermögens-, Ertrags- oder Liquiditätslage beeinträchtigen können, im Rahmen der turnusmäßigen Risikoinventur berücksichtigen.

Nachhaltigkeitsrisiken werden von der BaFin nicht als eigenständige Risikokategorie aufgefasst, sondern sollen jeweils als Teilaspekt der bekannten Risikoarten (für Kreditinstitute insbesondere Kreditrisiko/Adressenausfallrisiko, Liquiditätsrisiko, operationelles/strategisches Risiko sowie ggf. Reputationsrisiko) behandelt werden.

Unterschieden werden dabei von der BaFin unmittelbare physische Risiken, wie z.B. der Zusammenbruch von Lieferketten durch Wetterereignisse, und Transitionsrisiken, das heißt Risiken, die durch Veränderungen des politisch-regulatorischen Rahmens wie beispielsweise die Energiewende entstehen. So sollen beispielsweise Abwertungen von In-vestitionen oder Ausfälle von Kreditnehmern als Folge der Ablösung des Verbrennungsmotors durch andere Technologien unter die bekannten Adressenausfall- bzw. Marktrisiken gefasst werden.

Die Verantwortung für die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken soll bei der Geschäftsleitung liegen und soll auch im Rahmen der Geschäftsorganisation umgesetzt werden. Dies erfasst auch die Anpassung von Organisationsrichtlinien und die Einbeziehung in bestehende Prozesse der Kreditvergabe bzw. der Anlageentscheidung sowie der Compliance und des Risikocontrollings. Die Erweiterung des Risikomanagements um Nachhaltigkeitsrisiken setzt schließlich den Aufbau von qualifiziertem Knowhow in Bezug auf Nachhaltigkeitsfaktoren voraus.

Die von der BaFin aufgestellten Ansätze wirken sich dabei für Kreditinstitute im Einzelnen insbesondere auf die folgenden Bereiche aus:

  • Nachhaltigkeitsrisiken in der Kreditbearbeitung (BTO 1.2 MaRisk)

    Nach KWG und MaRisk beaufsichtigte Institute sollen nach der BaFin Nachhaltigkeitsrisiken auch in der Kreditgewährung und -weiterbearbeitung berücksichtigen und bewerten. Dies betrifft insbesondere die Bonitätsbewertung von Kreditnehmern im Hinblick auf deren Risikoexposition und die Wertermittlung von Sicherheiten z.B. unter Einbeziehung des Energieeffizienzstandards von Gebäuden. Die Institute sollen bei jeder Erstprüfung einer Transaktion Informationen zu Nachhaltigkeitsrisiken der Vertragspartner identifizieren und diese in die Einschätzung des Adressenausfallrisikos einbeziehen. Dies gilt insbesondere auch bei der Verwendung externer Bonitätseinschätzungen, die das Institut ggf. selbst um Nachhaltigkeitsaspekte ergänzen soll.

  • Risikomanagement (AT 2.2, AT 4 MaRisk)

    Die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken in das Risikomanagement der Unternehmen setzt nach dem Merkblatt die klare Definition von Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Zeitrahmen für die Identifizierung, Beurteilung, Steuerung, Überwachung von und Berichterstattung zu Nachhaltigkeitsrisiken voraus. Nachhaltigkeitsrisiken sollen dabei in allen bekannten Risikoarten einschließlich operationeller und reputationsbezogener Risiken berücksichtigt werden. Dabei soll die Risikotragfähigkeit stets gegeben sein.

    Die Unternehmen sollen grundsätzlich frei in der Wahl ihrer Methoden zur Risikosteuerung und -begrenzung sein. In Betracht kommen sowohl die Nutzung von Ausschlusskriterien als auch von Höchstgrenzen im Hinblick auf Unternehmen, Branchen oder Regionen, die bestimmten Risiken unterworfen sind. Eine Risikoklassifizierung könne z.B. durch die Identifizierung emissionsintensiver Branchen und so genannte „Heatmaps“ erfolgen. Auch Positivlisten mit Unternehmen, in die bevorzugt investiert wird, oder Best-in-Class-Ansätze sollen hierbei verwendet werden dürfen. Ob Unternehmen dabei eigene ESG-Kriterien festlegen oder sich auf anerkannte Nachhaltigkeitsdefinitionen beziehen, soll ihnen freistehen.

  • Auslagerung (AT 9 MaRisk)

    Der BaFin zufolge sollen Nachhaltigkeitsrisiken auch in die mit der Auslagerung an das betreffende Auslagerungsunternehmen verbundene Risikoanalyse einbezogen werden. Sofern sich ein beaufsichtigtes Unternehmen zu bestimmten Nachhaltigkeitsstandards bekennt, sollte das Auslagerungsunternehmen im Auslagerungsvertrag zur Einhaltung dieser Standards verpflichtet werden und ihm Vorgaben über die Identifizierung, Messung, Steuerung und Berichterstattung bei der Vornahme von Risikomanagements gemacht werden.

  • Nachhaltigkeitsratings

    Zur Feststellung der Nachhaltigkeit von Finanzanlagen empfiehlt die BaFin die Verwendung von ESG-Ratings neben den bereits am Markt etablierten Kreditratings. Die rating-basierte ESG-Einstufung soll von der Bonitätseinschätzung getrennt erfolgen.

III. Fazit und Ausblick

Die BaFin gibt beaufsichtigten Unternehmen mit der Veröffentlichung des Merkblatts schon jetzt die Gelegenheit, Vorkehrungen im Hinblick auf die künftige Einbeziehung von Nachhaltigkeitsfaktoren in das Risikomanagement zu machen. Sie geht einer wahrscheinlichen künftigen Regulierung voraus, indem sie Nachhaltigkeitsfaktoren in das insoweit erweiterte Risikoverständnis einbezieht.

Die BaFin hat in ihrer Veröffentlichung zu Aufsichtsschwerpunkten das Thema Nachhaltigkeitsrisiken als Schwerpunkt im Jahr 2020 vorgesehen (S. 24, 25) und will diese zeitnah in den aufsichtlichen Prozess einführen. Es ist davon auszugehen, dass die BaFin im Rahmen der laufenden Aufsicht die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken in naher Zukunft auch überprüfen wird.

Vor diesem Hintergrund ist die Prüfung und ggf. Überarbeitung der Geschäfts- und Risikostrategie der beaufsichtigten Unternehmen einschließlich einer entsprechenden Anpassung der schriftlich fixierten Ordnung in Bezug auf Risikomanagement und Auslagerungen zu empfehlen. Auch die Verfahren zur Kreditvergabe durch Kreditinstitute und zur Risikobewertung durch Kapitalverwaltungsgesellschaften sollten im Hinblick auf Nachhaltigkeitsrisiken überprüft werden.

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