Kapitalmarkt-Compliance auch für Emittenten von Anleihen im Freiverkehr

Seit nunmehr über 2 Jahren (03. Juli 2016) gilt die Marktmissbrauchsverordnung (Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014, “MAR”) EU-weit unmittelbar und damit auch in Deutschland.

Die wesentlichen Zulassungsfolgepflichten für Emittenten von Finanzinstrumenten sind damit europaweit einheitlich geregelt und die nationalen Regelungen insoweit ersetzt. Eine bedeutende Neuerung war, dass die Zulassungsfolgepflichten nunmehr auch Emittenten treffen, deren Finanzinstrumente (hierzu zählen auch Anleihen) im Freiverkehr einer Börse (etwa “Entry Standard” der Börse Frankfurt) gelistet sind. Die Pflicht gilt grundsätzlich ab dem Zeitpunkt der Antragstellung (zum Anwendungsbereich siehe Art. 2 MAR). Es findet also diesbezüglich eine Angleichung statt zu Emittenten, deren Finanzinstrumente im geregelten Markt gelistet sind und die bereits nach den bisherigen Regelungen umfassende Zulassungsfolgepflichten zu beachten hatten.

Der nachfolgende Beitrag konzentriert sich auf Anleihen im Freiverkehr. In unserer Praxis als Berater von Emittenten von Anleihen, insbesondere mittelständischen Unternehmen, haben wir beobachtet, dass auch über 2 Jahre nach Inkrafttreten der Marktmissbrauchsverordnung nicht allen Emittenten bewusst ist, dass auch sie Pflichten nach der MAR treffen oder es herrscht Unklarheit über den Umfang der Folgepflichten. Ein häufiger Irrtum vorab: Mitunter besteht die irrige Annahme, dass – sofern eine Anleihe von nur einer Person bzw. Gesellschaft gezeichnet wurde und gehalten wird (klassischer Fall etwa von einer Versicherung) und faktisch auf absehbare Zeit kein Handel mit der Anleihe stattfindet – keine Pflichten nach der MAR bestehen. Dies ist jedoch unzutreffend. Es genügt, dass die Anleihe zum Handel zugelassen ist, also mit ihr gehandelt werden könnte.

Schnelles Handeln ist im konkreten Fall erforderlich, da erhebliche Bußgelder oder schlimmstenfalls eine Strafverfolgung drohen. Sofern Anleihen in mehreren EU-Mitgliedsstaaten gelistet sind (z.B. in Deutschland und Österreich), sollte vorab geklärt werden, welche Behörde im Bedarfsfall zuständig ist, da sich bei einzelnen Tatbeständen in der MAR bzw. den zusätzlich anwendbaren delegierten Verordnungen Abgrenzungsfragen stellen und auch das jeweilige nationale Recht bestimmte Regelungen enthalten kann.

Folgende Pflichten ergeben sich direkt aus der MAR:

Pflicht zum Führen von Insiderverzeichnissen (Art. 18, 7 MAR)

Emittenten sind verpflichtet, eine Insiderliste anzulegen. Diese muss einen Abschnitt für jedes einzelfallbezogene Ereignis (geschäftsspezifisch / ereignisbasierte Insiderinformation) enthalten und in elektronischer Form geführt werden. Die in der Insiderliste geführten Personen müssen einen zugehörigen Aufklärungsbogen betreffend Verbotstatbestände im Zusammenhang mit dem Umgang mit Insiderinformationen unterschreiben.

Kernelement der Marktmissbrauchsverordnung für diesen und weitere Tatbestände ist das Merkmal der Insiderinformation gemäß Art. 7 MAR. Nur wenn diese vorliegt, existieren die entsprechenden Pflichten. Folgende Merkmale sind erforderlich:

  • Präzise Information, also eine derartig bestimmte Information, dass sie hinreichende Grundlage für eine Einschätzung über den zukünftigen Verlauf des Börsen- oder Marktpreises der Anleihe bilden kann; dies geht über “äußere Tatsachen” (d.h. der äußerlichen Wahrnehmung zugängliche Geschehnisse oder Zustände der Außenwelt) hinaus und umfasst auch (überprüfbare) Werturteile, Einschätzungen, Absichten, Prognosen und Gerüchte (sofern sich diese sich auf Tatsachen beziehen).
  • Information über nicht öffentlich bekannte Umstände (insbesondere Umstände, die nicht im Wertpapierprospekt aufgeführt oder sonst öffentlich zugänglich sind); hier erfolgt eine negative Abgrenzung: die Information ist öffentlich bekannt, wenn sie einem breiten Anlegerpublikum (nicht nur in einem in bestimmten Kreisen einschlägigen Börseninformationsdienst oder Newsboard) und damit einer unbestimmten Zahl von Personen zugänglich gemacht wurde (unerheblich, durch wen).
  • Information, die sich auf die Emittentin bzw. auf die Anleihe selbst bezieht; einschließlich Informationen mit mittelbarem Bezug.
  • Information muss geeignet sein, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Kurs der Anleihe erheblich zu beeinflussen

Als Insiderinformationen kommen insoweit bonitätsrelevante Informationen in Betracht. Das sind Informationen über Umstände, aufgrund derer die Erfüllung der mit der Anleihe verbundenen Verpflichtungen des Emittenten (z.B. Rückzahlung, Zinszahlung) beeinträchtigt wäre. Weitere Informationen mit Kursrelevanz sind vor allem Rückkaufangebote an Anleger, Kündigung einer Anleihe nebst Rückzahlung zum Nennbetrag zu einem bestimmten Datum oder Verlängerung der Laufzeit. Denkbar sind aber nicht nur Informationen mit negativer Kursrelevanz, sondern auch solche, die sich erheblich positiv auf den Kurs auswirken können. Bei Anleihen mit Gewinnbeteiligung kommt eine Meldepflicht in Betracht, wenn eine Gewinnprognose deutlich übertroffen wird. Es bedarf jeweils einer genauen Einzelfallprüfung.

Sicherstellung von Publizität durch Ad-hoc-Mitteilungen (Art. 17 MAR)

Hierbei handelt es sich um eine Pflicht des Emittenten bestimmte Insiderinformationen zu veröffentlichen. Ausgangspunkt ist auch hier der bereits erläuterte Begriff der “Insiderinformation”. Nach dem Wortlaut von Artikel 17 Abs. 1 MAR fallen nur solche Insiderinformationen unter die Vorschriften über die “Ad-hoc-Mitteilungen”, die den Emittenten “unmittelbar betreffen”. Ziel der Vorschrift ist, dass ausgeschlossen werden soll, dass kursrelevante Nachrichten nur “Insidern” bekannt sind, die diesen Wissensvorsprung zu ihrem Vorteil ausnutzen könnten.

Die vorgenannten Beispielsfälle zu den kursrelevanten Informationen dürften (sofern sie eine Insiderinformation darstellen) jeweils eine Pflicht zur Verfassung von “Ad-hoc-Mitteilungen” begründen, da der Schutzzweck der Norm diese gebietet und zumindest mittelbar auch der Emittent betroffen sein dürfte. So stellen etwa Informationen über Rückkaufangebote von Anleihen häufige Fälle der Ad-hoc-Mitteilungen über Anleihen dar.

Es empfiehlt sich, im Unternehmen präventive Strukturen zu schaffen, um im schnell reagieren zu können; auch hat eine EU-weite Veröffentlichung über Medien zu erfolgen.

Meldung von Eigenschäften von Führungskräften (“Directors` Dealings”, Art. 19 MAR)

Art. 19 MAR enthält umfassende Regelungen zur Meldung von Eigengeschäften von Führungskräften und Personen, die in enger Beziehung zu ihnen stehen. Insbesondere fallen nunmehr auch die Zeichnung und der Zweiterwerb von Schuldverschreibungen unter die Regelungen. Auch hier muss im Bedarfsfall schnell gehandelt werden und es muss eine EU-weite Veröffentlichung über Medien erfolgen. Auf den Begriff der Insiderinformation kommt es für die Meldepflicht nicht an.

Grob zusammengefasst ist der wesentliche Anwendungsbereich wie folgt:

Personeller Anwendungsbereich

  • Personen, die Führungsaufgaben wahrnehmen, d.h. die einem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan angehören. Darüber hinaus sind auch Personen umfasst, die als höhere Führungskraft zwar keinem Organ angehören, aber regelmäßig Zugang zu Insiderinformationen mit direktem oder indirektem Bezug zu der Emittentin haben und befugt sind, unternehmerische Entscheidungen über zukünftige Entwicklungen und Geschäftsperspektiven der Emittentin zu treffen.
  • Personen, die mit einer Führungskraft in enger Beziehung stehen, z.B. Ehepartner, Verwandte, unterhaltsberechtigtes Kind, aber auch bestimmte juristische Personen.

Sachlicher Anwendungsbereich

  • Umfasst sind insbesondere Anteile oder Schuldtitel des Emittenten, damit auch gelisteten Anleihen im Freiverkehr. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Meldung ist grundsätzlich der Abschluss des schuldrechtlichen Geschäfts.
  • Es gilt eine Bagatellgrenze von EUR 5.000 pro Kalenderjahr, bis zu deren Höhe Transaktion nicht meldepflichtig sind.
  • Umfasst ist ebenfalls die erstmalige Zeichnung von Finanzinstrumenten, also auch der Ersterwerb von Anleihen.

Beachtung der Verbote von Insidergeschäften und der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen (Art. 14, 7, 8, 9, 10, 11 MAR)

Alle Personen, die Umgang mit Insiderinformationen haben, müssen die gesetzlichen Verbotstatbestände des Art. 14 MAR im Zusammenhang mit dem Umgang mit Insiderinformationen beachten: Verbot des Tätigens von Insidergeschäften und der Versuch hierzu, jeweils “unter Verwendung von Insiderinformationen”, Dritten zu empfehlen, Insidergeschäfte zu tätigen oder Dritte anzustiften, Insidergeschäfte zu tätigen sowie Verbot der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen (nähere Erläuterung der Verbotstatbestände in Art. 8 MAR).

Verbot der Marktmanipulation (Art. 15, 12, 13 MAR)

Eine Marktmanipulation sowie der Versuch hierzu sind gemäß Art. 15 MAR verboten. Artikel 12 Abs. 1 MAR fasst die Fälle der Marktmanipulation zusammen, Art. 12 Abs. 2 MAR nennt einzelne Beispiele, bei denen eine Marktmanipulation gegeben ist.

Fazit

Auch für die Emittenten von Anleihen im Freiverkehr bestehen umfassende Zulassungsfolgepflichten. Für eine weiterführende Lektüre hat die BaFin auf ihrer Homepage diverse hilfreiche Informationen zur Verfügung gestellt, insbesondere FAQs zu den einzelnen Artikeln der Marktmissbrauchsverordnung. Abzuwarten bleibt insbesondere auch die derzeit erfolgende Überarbeitung des sog. Emittentenleitfadens, der hilfreiche Informationen zur Praxis der BaFin enthält (einstweilen kann der Emittentenleitfaden von 2013, der sich noch auf das alte Recht bezieht, ergänzend zur Orientierung herangezogen werden). Schnelles Handeln ist im konkreten Fall immer erforderlich, weshalb schon vorab Organisationsvorkehrungen im Unternehmen getroffen werden sollten. Für das jeweilige Unternehmen / den jeweiligen Fall ist immer auch eine Einzelfallprüfung geboten.

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