Das neue europäische Prospektrecht

Die Reform des Prospektrechts als Teil der EU-Kapitalmarktunion

Am 20. Juli 2017 ist die neue Europäische Prospektverordnung in Kraft getreten (Verordnung 2017/1129/EU vom 14. Juni 2017). Einige (wenige) Teile der Prospektverordnung gelten bereits seit ihrem Inkrafttreten, einige Teile gelten ab dem 21. Juli 2018, der ganz überwiegende Teil der Vorschriften ist ab dem 21. Juli 2019 anzuwenden. Emittenten und ihre Berater sollten sich bereits jetzt mit dem neuen Prospektregime und den damit einhergehenden Änderungen vertraut machen.

Die Prospektverordnung gilt unmittelbar in allen Mitgliedstaaten und löst das bisherige System der Prospektrichtlinie von 2004 (2003/71/EG) und der (Prospekt-)Durchführungsverordnung (2004/809/EG) ab. Die Reform des Wertpapierprospektrechts ist Teil der Initiative zur Schaffung einer EU-Kapitalmarktunion bis 2019. Besonders im Fokus der Reform stehen kleine und mittlere Unternehmen (KMU), denen nach wie vor eine besondere Bedeutung innerhalb der europäischen Wirtschaft zukommt und für die es Erleichterungen bei der Erstellung und Billigung von Prospekten geben soll. Erleichterungen gibt es daneben u.a. auch für Sekundäremissionen und sogenannte Daueremittenten.

Die Prospektverordnung gilt nur für auf dem Kapitalmarkt handelbare Wertpapiere, insbesondere für Aktien und Anleihen. Die Prospektregime nach dem Kapitalanlagegesetzbuch und dem Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) sind von der Reform nicht betroffen.

Die wichtigsten Neuerungen im Überblick

Viele der bislang geltenden prospektrechtlichen Grundsätze bleiben auch nach der Reform bestehen. Dies sind die wichtigsten Neuerungen im Überblick:

  • Fünf Arten von Prospekten. Die neue Prospektverordnung sieht ein System abgestufter Offenlegungspflichten für verschiedene Konstellationen bzw. Emittenten vor. Unterscheiden lassen sich fünf Arten von Prospekten: (i) Standardprospekt, (ii) Großkundenprospekt für Nichtdividendenwerte, (iii) Basisprospekt, (iv) vereinfachter Prospekt für Sekundäremissionen und (v) EU-Wachstumsprospekt. (Erwägungsgrund 24)
  • Befreiung von Angeboten unter EUR 1 Mio. Öffentliche Angebote mit einem Gesamtgegenwert von weniger als EUR 1 Mio. innerhalb von 12 Monaten sind zukünftig von der Prospektpflicht befreit. Die Mitgliedstaaten können auf nationaler Ebene andere verhältnismäßige Offenlegungspflichten für solche Angebote vorsehen. Die Mitgliedstaaten können national die Schwelle auch auf bis zu EUR 8 Mio. heraufsetzen. Ein grenzüberschreitendes „Passporting“ entfällt in diesem Fall. Diese Regelungen gelten bereits ab dem 21. Juli 2018. (Art. 1 Abs. 3; Art. 3 Abs. 2; Art. 49 Abs. 2)
  • Erweiterung des Begriffs der KMU. Als KMU gelten wie schon bislang Unternehmen, die zwei der folgenden drei Kennzahlen nicht überschreiten: 249 Beschäftigte im Durchschnitt, Gesamtbilanzsumme von EUR 43 Mio., Jahresnettoumsatz von EUR 50 Mio. Darüber hinaus gelten nunmehr (entsprechend der Definition in MiFID II, Richtlinie 2014/65/EU) auch solche Unternehmen als KMU, deren durchschnittliche Marktkapitalisierung auf der Grundlage der Börsennotierungen zum Jahresende in den letzten drei Kalenderjahren weniger als EUR 200 Mio. betrug. (Art. 2 lit. f)
  • EU-Wachstumsprospekt. Mit dem sog. EU-Wachstumsprospekt wird ein neues Prospektformat eingeführt. Dabei soll es sich um ein Dokument mit einer standardisierten Aufmachung, einer standardisierten Reihenfolge und einem verkürzten Inhalt handeln, das in leicht verständlicher Sprache abgefasst und für die Emittenten leicht auszufüllen ist. Die Einzelheiten hierzu stehen allerdings noch nicht fest, sondern werden bis zum 21. Januar 2019 durch delegierte Rechtsakte der Kommission festgelegt. Der EU-Wachstumsprospekt steht folgenden Emittenten, die nicht am geregelten Markt notiert sein dürfen, zur Verfügung: (i) KMU; (ii) Nicht-KMU, deren durchschnittliche Marktkapitalisierung auf Basis der (bestehenden oder geplanten) Notierung an einem KMU-Wachstumsmarkt weniger als EUR 500 Mio. beträgt; (iii) Emittenten, deren öffentliches Angebot einem Gesamtgegenwert von höchstens EUR 20 Mio. innerhalb von 12 Monaten entspricht, wenn ihre Wertpapiere nicht an einem sog. MTF (Multilateral Trading Facility, d.h. multilaterales Handelssystem; darunter fällt insbesondere der Freiverkehr) gehandelt werden und ihre durchschnittliche Beschäftigtenzahl 499 nicht überschreitet. Weiterhin können auch Anbieter, die Wertpapiere der soeben unter (i) und (ii) genannten Emittenten anbieten, auf den EU-Wachstumsprospekt zurückgreifen. (Art. 15)
  • Einheitliches Registrierungsformular. Der Prospekt besteht im Grundsatz aus drei Teilen: Einer Zusammenfassung, dem Registrierungsformular, welches die Angaben über den Emittenten erhält, sowie der Wertpapierbeschreibung, welche die Angaben zu den Wertpapieren enthält. Emittenten erhalten nunmehr die Möglichkeit, ein sog. einheitliches Registrierungsformular zu erstellen und von der BaFin billigen zu lassen, welches für mehrere Emissionen verwendet werden kann. Für eine konkrete Emission sind dann lediglich noch die Wertpapierbeschreibung und die Zusammenfassung zu erstellen. Durch die Billigung eines einheitlichen Registrierungsformulars erlangt der Emittent den Status eines sog. Daueremittenten. Die der BaFin im Prospektbilligungsverfahren zustehende Prüfungszeit wird dadurch verkürzt. Hat der Emittent zwei Jahre in Folge ein einheitliches Registrierungsformular gebilligt bekommen, kann er das einheitliche Registrierungsformular in den Folgejahren ohne vorherige Billigung bei der BaFin (bzw. der zuständigen Behörde des jeweiligen Mitgliedstaates) hinterlegen. Das bislang schon bekannte System des Basisprospekts für Nichtdividendenwerte bleibt neben dem neu eingeführten einheitlichen Registrierungsformular bestehen. (Art. 9)
  • Erleichterungen für Sekundäremissionen. Emittenten, deren Wertpapiere während der letzten 18 Monate ununterbrochen zum Handel an einem geregelten Markt oder einem KMU-Wachstumsmarkt zugelassen waren, brauchen in bestimmten Konstellationen nur einen vereinfachten Prospekt zu erstellen. Dies gilt erstens für das öffentliche Angebot und/oder die Zulassung von Wertpapieren, sofern diese mit den bereits zugelassenen Wertpapieren „fungibel“ sind (das Kriterium der „Fungibilität“ wird in der Verordnung an verschiedenen Stellen verwendet, jedoch nicht näher definiert; nach allgemeinem Sprachgebrauch ist damit „austauschbar“, „gattungsgleich“ gemeint). Zweitens gilt es für die Emission von Nichtdividendenwerten (also insbesondere Anleihen), wenn es sich bei den bereits zugelassenen Wertpapieren um Dividendenwerte (also insbesondere Aktien) handelt. Und drittens können Anbieter derjenigen Wertpapiere, die bereits zugelassen sind, die vereinfachten Offenlegungsregelungen in Anspruch nehmen. So wie im Falle des EU-Wachstumsprospekts stehen auch bei dem vereinfachten Prospekt für Sekundäremissionen die Einzelheiten bislang noch nicht fest, sondern werden bis zum 21. Januar 2019 durch delegierte Rechtsakte der Kommission festgelegt. (Art. 14)
  • Prospektfreie Aufstockung bereits zugelassener Wertpapiere. Sind Wertpapiere bereits zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen, so können mit diesen „fungible“ Wertpapiere, die über einen Zeitraum von 12 Monaten weniger als 20% der Zahl der bereits zugelassenen Wertpapiere ausmachen, prospektfrei zugelassen werden. Die bereits bislang geltende Ausnahme von der Prospektpflicht wird von Aktien auf alle Wertpapiere und von 10% auf 20% innerhalb von 12 Monaten erweitert. Diese Regelung gilt bereits seit dem 21. Juli 2017. (Art. 1 Abs. 5 lit. a; Art. 49 Abs. 2)
  • Zusammenfassung. Erhebliche Änderungen ergeben sich bei der Zusammenfassung des Prospekts. Die Zusammenfassung soll nunmehr grundsätzlich eine Länge von sieben Seiten nicht überschreiten und maximal 15 Risikofaktoren enthalten. Das bisherige „Baukastensystem“ entfällt und den verschiedenen Abschnitten der Zusammenfassung werden Überschriften in Frageform vorangestellt (z.B. „Welches sind die wichtigsten Merkmale der Wertpapiere?“). Die Darstellungsweise der Zusammenfassung wird damit bewusst derjenigen des Basisinformationsblatts nach der PRIIPs-Verordnung (2014/1286/EU) angenähert. Ein vorhandenes Basisinformationsblatt kann für die Zusammenfassung verwendet werden. In diesem Fall muss die Zusammenfassung jedoch um die im Basisinformationsblatt nicht enthaltenen Teile (i) Einleitung, (ii) Basisinformationen zum Emittenten sowie (iii) Basisinformationen zum Angebot bzw. zur Zulassung ergänzt werden. (Art. 7)
  • Risikofaktoren. Risiken sind zukünftig nur insoweit in den Prospekt aufzunehmen, als diese für den Emittenten und/oder die Wertpapiere spezifisch und im Hinblick auf eine fundierte Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sind. Diese Voraussetzungen müssen sich durch den übrigen Inhalt des Prospekts bestätigen lassen. Damit soll der Tendenz der Prospektersteller, aus haftungsrechtlichen Gründen in großem Umfang Risiken allgemeiner Art aufzunehmen, vorgebeugt werden. Ebenfalls neu ist, dass innerhalb einer Kategorie die wesentlichsten Risikofaktoren an erster Stelle zu nennen sind. Der Prospektersteller hat daher zukünftig eine Bewertung der einzelnen Risikofaktoren auf Grundlage von Eintrittswahrscheinlichkeit und potentiellen Auswirkungen vorzunehmen. Eine über die Reihenfolge hinausgehende Pflicht zur Kennzeichnung der einzelnen Risikofaktoren mit den Einstufungen „gering“, „mittel“ oder „hoch“ wurde nicht eingeführt, sondern den Prospekterstellern freigestellt. (Art. 16)
  • Legal Entity Identifier. Neben der ISIN der Wertpapiere ist die Rechtsträgerkennung (legal entity identifier – LEI) des Emittenten (Anbieter, Garantiegeber) im Prospekt anzugeben. (Art. 13 Abs. 1)
  • Steuerteil kann entfallen. Der bisher in Prospekten übliche ausführliche Steuerteil kann zukünftig entfallen. Lediglich wenn die Anlage besondere steuerrechtliche Folgen nach sich zieht, ist eine Darstellung im Prospekt erforderlich. Im Übrigen genügt ein Warnhinweis dergestalt, dass sich das Steuerrecht auf die Erträge aus den Wertpapieren auswirken kann. (Erwägungsgrund 47)
  • Verweise. Verweise im Prospekt auf bereits anderweitig elektronisch veröffentlichte Dokumente sind in größerem Umfang zulässig als bislang. Es sind elektronische Verknüpfungen („Hyperlinks“) zu den Dokumenten, auf die verwiesen wird, in den Prospekt aufzunehmen. (Art. 19)
  • Zugänglichkeit für 10 Jahre. Prospekte müssen zukünftig mindestens 10 Jahre in elektronischer Form öffentlich zugänglich bleiben. Da die Gültigkeitsdauer eines Prospekts nach wie vor maximal 12 Monate ab Billigung beträgt, ist nunmehr ein deutlich sichtbarer Warnhinweis mit dem Datum des Ablaufs der Gültigkeit aufzunehmen. (Art. 21 Abs. 8, Abs. 9)

Fazit

Die Reform des Wertpapierprospektrechts ist insgesamt zu begrüßen. Dies betrifft insbesondere das Kernanliegen, für verschiedene Konstellationen und Emittenten unterschiedliche Offenlegungspflichten zu statuieren. Die Details des neuen Prospektregimes werden allerdings in großem Umfang erst in delegierten Rechtsakten der Kommission geregelt werden. Für KMU wird es darauf ankommen, wie der neue „EU-Wachstumsprospekt“ im Einzelnen ausgestaltet sein wird. Zuzustimmen ist ebenso dem Ziel, den Prospekt an einigen Stellen zu straffen. Dies bringt allerdings auch neue Herausforderungen und Haftungsrisiken für Prospektersteller mit, insbesondere was die Bewertung und Beschränkung von Risikofaktoren angeht. An manchen Stellen weist die neue Prospektverordnung unbedachte technische Erschwernisse auf. So führt die Formulierung in Art. 1 Abs. 3, dass die Prospektverordnung keine Anwendung auf Angebote mit einem Gesamtgegenwert „von weniger“ als EUR 1 Mio. findet, dazu, dass Emittenten, die diese Ausnahme nutzen wollen, lediglich Angebote in Höhe von bis zu EUR 999.999,- machen können. Die Formulierung „bis zu“, die „runde“ Angebote in Höhe von EUR 1 Mio. ermöglicht hätte, wäre sinnvoller gewesen.

Insgesamt besteht die begründete Hoffnung auf einen erleichterten Zugang zum (Wertpapier-) Kapitalmarkt für KMU. Dies ist gerade für die Investmentklasse der KMU-„Schwarmfinanzierungen“ über Crowdinvesting-Plattformen eine interessante Erweiterungsoption. Für viele KMU stellt die Prospektpflicht wegen des zeitlichen Aufwandes und wegen der Kosten der Prospekterstellung eine erhebliche Hemmschwelle dar, so dass diese KMU hierzulande auf Emissionen gemäß dem VermAnlG unterhalb der dort geregelten, vielfach als zu niedrig empfundenen Schwellen verwiesen sind (z.B. auf sog. „Schwarmfinanzierungen“ über Internet-Dienstleistungsplattformen gemäß § 2a VermAnlG bis max. EUR 2,5 Mio.). Die gestrafften und standardisierten Prospektregeln könnten prospektierte Emissionen für viele KMU in greifbare Nähe rücken. Auch für Crowdinvesting-Plattformen ergeben sich hierdurch Erweiterungspotenziale.

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